Wohnungssuche in Köln – ein perfides Spiel und alle spielen mit

© Christin Otto

Ich liebe meine 40-Quadratmer-Wohnung in Ehrenfeld – und das, obwohl die Italiener im Nachbarhaus eine Kommunikation kultiviert haben, bei der ich nie ganz sicher bin, ob ich die Polizei oder direkt den Leichenwagen rufen soll. Obwohl der andere Nachbar im Sommer rund um die Uhr Beate-Uhse-TV bei offenem Fenster schaut. Obwohl ich ein halbes Jahr damit zugebracht habe, eine Rattenfamilie von der Terrasse zu vertreiben. Obwohl ich inzwischen mit meinem Freund hier wohne und das gefühlte zehn Quadratmeter pro Nase macht. Macht alles nix. Weil es unser Zuhause ist. Ein schönes, mitten in unserem Lieblingsveedel. Und weil auch wir sie gelernt haben: die kölsche Genügsamkeit. 40 Quadratmeter Altbau mit Terrasse für knapp 700 Euro. Anderswo nennt man sowas eine bodenlose Frechheit, in Köln heißt das: Jackpot.

Nun ist die kölsche Genügsamkeit die eine Sache. Eine ganz andere ist, wie man an so einen kölschen „Jackpot“ kommt. Als Selbstständige im Normalfall nämlich gar nicht. Da stehst du in der Hackordnung der Wohnungssuchenden noch unter Studenten, alleinstehenden Frauen mit 50 Katzen und Familien mit zehn Kindern. Weil dir niemand Arbeitslosengeld zahlt, wenn du plötzlich zu faul oder zu krank bist zum Arbeiten. Weil dir kein Mensch glaubt, dass du in den nächsten Jahren noch genauso viel verdienen wirst wie es deine letzten drei Kontoauszüge behaupten. Und weil du noch nicht mal beweisen kannst, dass das Geld auf diesen drei Kontoauszügen nicht nur zum Schein von der Firma deines Patenonkels überwiesen wurde.

Dann stehst du da mit deinen über 30 Jahren – und bist fassungslos.

„Also ohne Elternbürgschaft macht es wenig Sinn, dass Sie sich in die Liste eintragen“, haben mir die Makler bei meiner Wohnungssuche gesagt. Dann stehst du da mit deinen über 30 Jahren – und bist fassungslos. Darüber, wie jemand, der eigentlich nur Wohnungen aufschließt und ein paar Quadratmeterzahlen runterbetet, es schafft, so viel Erniedrigung in so wenige Worte zu verpacken. Und dann willst du diesem jemand den Mittelfinger zeigen, ihn fragen, ob er noch alle Schlüssel am Schlüsselbrett hat und auf der Ferse kehrt machen. Doch stattdessen setzt du dein freundlichstes Lächeln auf, überreichst ihm deine „Bewerbungsmappe“, trägst dich in diese verdammte Liste ein und sagst: „Elternbürgschaft – klar, gar kein Problem!“.

Von keinem dieser Makler habe ich jemals wieder etwas gehört. Weil immer irgendein junger Lehrer oder Arzt dabei war, der keine Elternbürgschaft nachreichen musste. Meinen Sechser im Kölner Wohnungslotto habe ich dennoch gefunden. Unfassbarem Glück sei Dank. Weil ich irgendwann an eine junge Frau geraten bin, die sich ihren Nachmieter selbst aussuchen durfte – ganz ohne Makler. Und weil sich diese junge Frau gegen Bestechungsgeld anderer Bewerber und für die gute Tat entschied.

Niemand hat Lust auf dieses perfide Spiel – und doch spielen alle mit.

Dumm nur, dass Glück kein verlässlicher Begleiter bei der Wohnungssuche ist. Immer noch nicht. Und das, obwohl Makler zumindest bei Mietwohnungen längst eine Seltenheit sind – weil Vermieter den inzwischen nämlich aus eigener Tasche bezahlen müssen. Am Haifischbecken Wohnungsmarkt hat sich offenbar trotzdem wenig geändert. Das wird mir spätestens dann bewusst, wenn ich wieder einen dieser Zettel an einer Straßenlaterne entdecke: „Solventes Paar mit Kind sucht…“ Dann weiß ich nie, was ich abstoßender finden soll: Diejenigen, die sich so beschreiben, oder diejenigen, die nun mal genau das hören wollen. Es ekelt mich an, wenn ich höre, dass junge Pärchen für ihre Wohnungssuche ein Bewerbungsvideo drehen, um besonders kreativ und sympathisch rüberzukommen. Als wären Mieter Ware, die beworben und angepriesen werden muss. Ware, die ohne Beipackzettel und Garantieschein nichts wert ist. Einmal komplett nackig machen bitte!

Niemand hat Lust auf dieses perfide Spiel – und doch spielen alle mit. Weil die anderen es auch tun, weil ohne Bewerbungsmappe ja doch nichts geht, und weil so ein Video dann eben doch heraussticht. Wenn schon nicht mehr beim Makler, dann doch beim Vermieter. Und die Lücke des Maklers wurde ohnehin längst gefüllt. Den Türsteher spielen jetzt: die Wohnungssuchenden selbst. Weil Wohnungen jetzt nicht mehr einfach so abgegeben werden – sie werden getauscht. „Tausche 2-Zimmer-Wohnung in Ehrenfeld gegen drei Zimmer und mehr in Südstadt, Nippes oder Lindenthal“. Und wer nicht auf einen Tausch angewiesen ist, fragt erstmal bei Freunden und Familie, ob jemand Bedarf hat. Das mag nachvollziehbar sein, klar. Und doch reproduziert es ein altes Muster: Hast du nicht das Passende zu bieten – nicht den passenden Job, nicht die ideale Tauschwohnung, nicht die richtigen Freunde –, bekommst du auch nichts.

Selbst meine Freunde mit den dicken Gehaltschecks ziehen nach Hürth und Dellbrück.

Mögliche Lösungsansätze kennen wir alle: Mehr Wohnungs- und Sozialbau, Baulücken schließen, schärfere Mietpreisbremse. Nur passiert seit Jahren nichts. Stattdessen ziehen inzwischen selbst meine Freunde mit den dicken Gehaltschecks nach Hürth und Dellbrück. Weil sie dort noch etwas für ihr Geld bekommen. Und wahrscheinlich sind auch all das Gründe, warum ich meine kleine Ehrenfelder Wohnung so liebe – trotz der lauten Italiener, trotz der Ratten und trotz des sommerlichen Dauerstöhnens aus dem Fernseher des Nachbarn: Weil mich diese 40 Quadratmeter bewahren – vor dem Haifischbecken Wohnungsmarkt.

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