Die Hochzeiten meiner Freunde rauben mir den letzten Nerv
Natürlich ist es wunderbar, wenn zwei Menschen sich lieben – und das dann auch noch amtlich machen wollen. Schön auch, wenn sie dazu ihre Liebsten um sich versammeln und das feiern. Aber hat mal jemand an die Gäste gedacht? Falls nicht, dann kommt hier der Bericht einer Geplagten:
Jedes Jahr bekomme ich Schwarz auf Weiß, was sich kurz zuvor auf Instagram angekündigt hatte: Hochzeitseinladungen. Ich nehme mir meinen Kalender und zementiere wieder einen Sommer mit Terminen zu. Vielleicht schaffe ich es, irgendwo fünf Tage Kurzurlaub einzuschieben, bevor ich mir einen Blumenkranz auf den Kopf setzen und in einer Limousine den „letzten Tag in Freiheit“ einer Freundin begehen muss. Arme Frau, wird sie danach eingesperrt?
Ich beneide Männer. Selbst der hässlichste Grottenolm sieht in einem Anzug gut aus.
All mein Geld fließt dann in die langen Anfahrten auf Weinberge, in die Alpen oder ans Meer. Und in meine Garderobe. Die auszusuchen, ist für Frauen wie mich, die sich nur anziehen, um nicht nackt zu sein, eine echte Tortur. Ich beneide Männer. Selbst der hässlichste Grottenolm sieht in einem Anzug gut aus. Und kann ihn auch noch mehrmals tragen, ohne, dass es jemandem auffallen würde. Das einzige aussagekräftige Accessoire ist die Krawatte. Höchst verwirrend finde ich es, wenn die dann aber farblich zu der Robe der Partnerin passt. Praktisch natürlich, weil ich mit einem Blick sehen kann, wer hier mit wem schläft, aber die Aussage will sich mir nicht ganz klären. Ist das ein Reservierungsschild?
Perfekt gestylt quetschen sich dann alle Ungläubigen mit dem ungläubigen Brautpaar in ein Gotteshaus und sehen dabei zu, wie Braut und Bräutigam so tun, als hätten sie sich noch nie gesehen und wie die Braut der ganzen Emanzipationsbewegung einen Arschtritt verpasst, wenn sie sich von ihrem Papi an einen anderen Mann übergeben lässt.
Aus welchem Höllenloch sind Fotoboxen eigentlich gekrochen?
Dann folgt der Teil des Tages, der eher einer Militärparade als einem Fest der Liebe gleicht. Aperitif, Smalltalk, Häppchen, Luftballons steigen lassen, Smalltalk, essen, Smalltalk rechts: „Und, was machen Sie so beruflich?“, Smalltalk links: „Wie läuft‘s so bei euch?“, Rede, Spiel, Rede, Nachtisch, noch schnell Gästebuch, Tanzen, Fotobox, Rede, Tanzen, Taxi. Alles auf hohen Schuhen und mit super Laune, bitte.
Natürlich hat sich Monate vor diesem Spektakel schon der Trauzeuge via Mailverteiler gemeldet: „Wir würden uns freuen, wenn du dieses basteln und jenes schreiben würdest, bitte drucke Fotos von dir aus und trag dich dort ein.“ Vor Jahren sollte ich eine Flashmob-Choreo lernen. Das war klar ein Fall für Amnesty. Die Würde des Menschen ist doch unantastbar, oder? Und aus welchem Höllenloch sind Fotoboxen eigentlich gekrochen? Warum soll ich mir einen Papp-Schnurrbart vors Gesicht halten und mich dabei fotografieren lassen?
Spannend wird es kurz vor dem Essen, wenn die Sitzordnung dir verrät, welchen Platz du in diesem Gefüge hast.
Spannend wird es dann kurz vor dem Essen, wenn die Sitzordnung dir verrät, welchen Platz du eigentlich in diesem Gefüge hast. Sie entlarvt „nur Bekannte“ und Singles, trennt die, die sich eigentlich nicht so wirklich ausstehen können, sie rottet alte Schulfreunde zusammen und gibt preis, wie eng eigentlich deine Freundschaft zum Brautpaar ist.
Zwischen den Gängen gibt es dann die emotional erdrückenden Reden und die 45-Minuten-Power-Point der Patentante, die erzählt – in einem Kreuzreim, das ist peppiger –, wie grandios der Bräutigam bis heute sein Leben gemeistert hat. Abitur, Studium, Beruf und nun hat er auch ein gutes Weib gefunden. Bravo.
Aber hey, da vorne stehen Freunde von mir, die ihr großes Glück gefunden haben.
Das Ganze endet auf der Tanzfläche mit den letzten Resten Tanzschule und eskaliert meist mit der Entartung eines Schulfreundes, der Achim Reichel auflegen lässt und zum Rudern auf den Boden bittet.
Aber hey, da vorne stehen Freunde von mir, die ihr großes Glück gefunden haben und das mit mir feiern wollen. Und dieser Anblick lässt mich das alles ertragen. Und genau deswegen sage ich wohl auch weiterhin bei jeder Hochzeitseinladung guter Freunde: Ja, ich will!