Fuck off, Achtsamkeit 2.0!

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Es ist schon verrückt, auf was man in App-Stores alles so stößt. Für 2,99 Euro kann ich mir per Klick ein achtsameres Leben kaufen – inklusive der Reise zu einem gesünderen Geisteszustand, bei der mein Geist "klarer und präsenter" werden soll. Ein Programm, das mir beibringen soll, einfach mal abzuschalten. Mein gestresstes Ich soll sich nur auf sich selbst fokussieren.

Cool. Oder auch nicht. Denn, wenn ich ehrlich bin, kann ich diesen ganzen Achtsamkeitshype nicht mehr hören – er steht mir bis zum Hals, meine Wohlgesonnenheit scheint sich blitzschnell vom Acker zu machen und mein Magen macht gefühlt einen Salto, wenn jemand die Wörter Achtsamkeit und Selbstoptimierung in den Mund nimmt.

Mindfullness und Klarheit für die Seele gibt’s jetzt per Knopfdruck.

Denn was da momentan in unserer Gesellschaft passiert, hat rein gar nichts mehr mit dem zu tun, was der Buddhismus praktiziert: In der 2500 Jahre alten Methode handelt es sich bei Achtsamkeit um eine Schulung der Ethik und Weisheit. Vipassana heißt die ursprüngliche Achtsamkeitsmeditation – und nicht „Achtsamkeitsapp“ – bei der es vor allem darum geht, im Hier und Jetzt zu leben.

Und wenn dann jemand heutzutage der Meinung ist, achtsam zu leben bzw. eine Schwäche für den Buddhismus entwickelt zu haben – nur weil er via App meditiert, Mantras liest und sich Ziele setzt –, frage ich mich ernsthaft, ob das Gehirn meines Gegenübers nicht eher eine Schwäche entwickelt hat. So schnell geht die Sache mit religiösen Orientierung also heutzutage. Das Geschäft mit dem Geist boomt – Mindfullness und Klarheit für die Seele gibt’s jetzt per Knopfdruck. Ciao 2500 Jahre alte Methode!

Wir müssen abschalten, heißt es. Nur eben nicht das Handy, oder wie?

Achtsamkeit dient heutzutage also der Selbstoptimierung. Die erreicht man zum einen durch App-Meditation und zum anderen über’s Tracking – denn wie sollte man sonst erfolgreicher, schneller und gesünder leben? Wir brauchen Zahlen, um uns zu messen, um uns zu verbessern und um uns zu optimieren. Genau aus diesem Grund tracken wir alles, was wir den lieben langen Tag – oder sogar die Nacht – über tun: Angefangen beim morgendlichen Joggen über die Arbeitszeit bis hin zum Schlafrhythmus. Aber auch das Essverhalten, die Zeit, die wir am Handy verbringen und der Zyklus werden getrackt.

Screenshot via Google

Bei den Anhängern der Achtsamkeit 2.0 reichen also 20 Minuten Meditation und hier und da ein wenig Tracking aus, um ein achtsameres Leben zu führen, klasse! Und das alles via App. Gleichzeitig werden wir online dazu animiert, den Alltagsstress hinter uns zu lassen, um der schnelllebigen, digitalen Welt zu entfliehen. Schließlich sind wir non-stop online, das Handy immer griffbereit, der Kontakt zu Freunden, Kollegen und Bekannten 24/7 on fire. Wir müssen abschalten, heißt es eben in jenen Sprüchen. Nur eben nicht das Handy, oder wie?

Achtsamkeitsanhänger finden Sprüche, die einst als schäbige Wandtattoos galten, plötzlich cool.

Klar, dass genau in diesem Moment erneut die Marketingfalle zuschnappt und all diese Menschen auffängt, die es wichtig finden, bewusst analog zu sein. „Finde wieder zu dir selbst“. Frei nach dem Motto: Es ist wichtig, zwischendurch auch mal ganz bewusst offline zu sein und seine Gedanken aufzuschreiben. Mit Notizbüchern und Kalendern werden jene Menschen also abgeholt.

Achtsamkeitsanhänger sind online und gleichzeitig offline – sie tracken ihre Zeiten, meditieren via App, finden Sprüche, die einst als schäbige Wandtattoos galten, plötzlich cool und greifen nun zu Stift und Papier, um ihre Gedanken zu sortieren und sich täglich ihre Ziele zu setzen. Und die Unternehmen verdienen sich damit 'ne goldene Nase. So einfach funktioniert das Geschäft mit der Achtsamkeit also.

Also, verpiss dich, Achtsamkeit 2.0!

Doch – was passiert, wenn wir all diese Ziele mal nicht erreichen? Ploppt dann der nächste Spruch auf unserem Handy auf à la „Niemand ist perfekt“ oder „Perfekt sein ist langweilig“? Vielleicht ist es doch besser, das Leben einfach mal zu leben – und zwar ganz ohne permanentes Tracking und stetige Selbstoptimierung. Klar, ist es nicht verkehrt, sich Ziele zu setzen, doch dafür ist es nicht nötig, sich sämtliche Apps runterzuladen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was man doch noch alles erreichen muss, um seine Jahresziele umzusetzen. Das Ergebnis: Noch mehr Druck statt Achtsamkeit.

Letzten Endes geht es doch darum, das Leben zu genießen – die Selbstoptimierung kommt ganz von selbst, oder eben auch nicht. Dann ist das aber auch nicht weiter schlimm. Oder werden wir irgendwann – im Sterbebett liegend – auf unser achtsames Leben zurückblicken und uns daran erinnern, wie viele Schritte wir durchschnittlich gelaufen sind und stolz an den Tag zurückdenken, an dem unser Schlafrhythmus perfektioniert wurde? Ich glaube nicht. Also, verpiss dich, Achtsamkeit 2.0!

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