Komm, pack das Lasso ein! Warum wir an Karneval nicht Cowboy und I*** spielen sollten

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Wie wär’s, wenn wir dieses Jahr an Karneval tatsächlich mal in eine andere Rolle schlüpfen? Nein, damit meine ich nicht den Einhorn-Onesie, sondern die Idee, eine neue Perspektive einzunehmen und Grenzen zu überschreiten – so wie der Karneval doch ursprünglich begonnen hat: Als Kritik an der Obrigkeit und an gesellschaftlichen Missständen durch Satire, als Ablehnung sozialer Hierarchien durch das Verschleiern von Armut und Reichtum und das gemeinsame ausgelassene Feiern von Narren aller Schichten und Stände.

Das ausgelassene Feiern aka. Komasaufen konnten wir der Tradition entsprechend gut bewahren – alle, die schon mal mit ner Alkoholvergiftung am Tropf hingen, können sich jetzt mal auf die Schulter klopfen. Und ja, auch heute noch liegen sich Hippie und Soldat grölend in den Armen, pinkeln torkelnde Prinzessinnen an den Straßenrand, während sich wuschige Füchse und sexy Bunnies am Hauseingang gegenseitig aufessen. Ja, auch heute werden Grenzen überschritten, jedoch nicht zugunsten des traditionellen Leitsatzes Demokratie, Gleichheit und Freiheit, sondern leider oft auf Kosten von Minderheiten und sozial Benachteiligten.

Ist es nicht komisch, dass wir diesem schrecklichen Ereignis durch alberne Kostüme die Anerkennung absprechen?

Unter Letzteres fällt ein Phänomen, das man erst mal als solches begreifen muss: die fortwährende Beliebtheit des I***-Kostüms. Vielleicht ist es die romantische Vorstellung, als sexy I***-Girl vom notgeilen Cowboy abgeschleppt zu werden, so wie es im Karnevals-Hit „Komm hol das Lasso raus – wir spielen Cowboy und I***“ in die Köpfe der Jecken gehämmert wird. Frei nach dem Motto: I*** sagt man zwar eigentlich nicht mehr, aber, hey, ist halt Karneval! Vielleicht ist es Faulheit, mangelnde Kreativität, oder einfach die Tatsache, dass das Kostüm überall leicht erhältlich ist. Vielleicht hat man sich auch gar nichts dabei gedacht und findet es einfach nur schön. Et hätt noch immer jot jejange!

In sicherlich keinem dieser Fälle ist expliziter Rassismus die Motivation – vielleicht sogar genau das Gegenteil – und daher fällt der Vorwurf schwer und trifft möglicherweise Menschen, die ihn doch eigentlich gar nicht verdient haben. Dennoch muss man sich doch eingestehen, dass es schon verdammt komisch ist, sich mit den Federn eines Volkes zu schmücken, das von weißen Europäern ausgebeutet, unterdrückt und verdrängt wurde und das noch heute unter Rassismus, Diskriminierung und Einschränkung seiner Freiheiten leidet. Ist es nicht verdammt komisch, dass wir diesem schrecklichen historischen Ereignis durch dummen Singsang und alberne Kostüme die Anerkennung absprechen, zu Zwecken unserer Belustigung? „Hast du mich umzingelt, werd’ ich mich ergeben / Stell mich an den Marterpfahl / Komm, hol’ das Lasso raus, so wie beim ersten Mal“. Yeeha, darauf noch ein Schnappes!

Stellen wir uns vor: Es ist Karneval und ich verkleide mich als Jude und mein Freund als Hitler.

Um das Ganze greifbarer zu machen, stellen wir uns doch einfach mal folgendes Szenario vor: Es ist Karneval und ich verkleide mich mit Kippa und Davidstern als Jude und mein Freund als Hitler. Irgendwie daneben, oder? Zum einen eignen wir uns Merkmale einer Kultur und Religion an und missbrauchen sie für unsere eigenen Zwecke, nämlich als Kostüm – Stichwort Cultural Appropriation. Zum anderen verharmlosen wir einen Tiefpunkt der menschlichen Geschichte, indem wir uns dazu und darüber amüsieren.

Gerade in Zeiten von Trump, Pegida und AfD, in denen rassistische Äußerungen wieder in die Mitte der Gesellschaft finden, schadet es hin und wieder nicht, Dinge und Äußerungen zu hinterfragen, die als normal hingenommen werden. Und gerade zu einer Zeit, in der der neu gewählte brasilianische Präsident Bolsonaro ankündigt, indigene Völker zu vernichten, sollten wir das Leiden eines Volkes nicht im Vollsuff ertränken.

Anstatt sich dieses Jahr die Federn überzuwerfen, könnte man also einfach mal mental in diese Rolle schlüpfen – ein bisschen Empathie und Respekt steht sicherlich jedem gut.

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