So fühlt sich mein Leben ohne Alkohol an

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Meine Leben ohne Alkohol? – Ist schön und gar nicht mal so anders als mein Leben mit Alkohol. Ich weiß, wie unvorstellbar das klingt, schließlich gehört Alkohol einfach dazu. Zu feierlichen Anlässen jeglicher Art, zum Restaurantbesuch, zum Grillen, zum Proseccofrühstück, zum Feierabend, zum Umzug, zu Shoppingqueen, zum Rave, kurzum: zum Leben.

Solange man nicht regelmäßig so maßlos übertreibt, dass man lallt, kotzt und auf die Nase fliegt, muss man sich nie für Alkoholkonsum rechtfertigen. Im Gegenteil: Wer ablehnt, erntet Fragen, skeptische Blicke, Überredungsversuche. Wer nicht trinkt, mit dem stimmt was nicht. Der ist komisch. Am allerkomischsten, wenn er seinem seltsamen Verhalten mit einem resoluten „ich trinke nicht“ die Krone des Unverständnisses aufsetzt. „Danke, für mich heute mal nichts“ oder „ich mache einen Detoxmonat“ lässt das Umfeld meist noch gelten und zeigt bisweilen sogar Respekt und Bewunderung. Aber der Satz: „Ich trinke nicht“ sitzt und knallt. Wie das gekonnte Öffnen einer Bügelverschlussbierflasche. Rumms! „Wie, GAR nicht mehr, nie wieder?“ Da wird der Ton dann bisweilen hysterisch.

Mein Körper hat mir seit jeher deutlich zu verstehen gegeben, dass er Alkohol buchstäblich zum Kotzen findet.

Es ist ja so: Wer keinen Alkohol trinkt, grenzt sich nicht nur ab, sondern vor allem auch aus. Das mag Sozialphobikern gerade recht kommen, aber der halbwegs normale Mensch, ein Rudelwesen, will ja doch immer lieber dazu gehören – und aus der trinkenden Mehrheit, ach was, Allgemeinheit, nicht herausstechen wie ein Cocktailschirmchen. Alkohol ist ein sozialer Kleber, Alkohol verbindet, Alkohol macht locker, selbstbewusst, lustig. Hihihi, hohoho. Alkohol macht Spaß. Im besten Fall. Dafür nutzen wir ihn ja: auf dass er positiv wirke. Alkohol zum Enthemmen, Alkohol, um zu vergessen. Funktioniert ja auch oft. Aber nicht immer.

Alkohol kann auch fürchterlich erniedrigen, beziehungsweise: wir uns durch ihn. Alkohol lässt uns kotzen, kann aggressiv und verzweifelt machen, lässt Tränenfässer ungewollt platzen. Ich erinnere mich auf Anhieb an zig Szenen von hysterisch heulenden Weibern auf Partys. Dieser Kelch ist, bis auf ein bis zwei dramatische Momente in meiner Jugend, an mir vorübergegangen. Ordentlich zugelangt habe ich allerdings beim Kater. Mein Körper hat mir seit jeher deutlich zu verstehen gegeben, dass er Alkohol buchstäblich zum Kotzen findet. Als Teenie habe ich die Fahrt im Nachtbus meistens im Karussellmodus und würgend erlebt, sobald sich die Türen geöffnet haben, spie ich nicht selten im hohen Bogen in die Büsche.

Ich war 'Normaltrinkerin': Eine, die nicht alleine gepichelt, aber in Gesellschaft immer selbstverständlich ja gesagt hat.

Auch mit 34 habe ich auf diversen Heimwegen, wenn nicht schon auf den Partys selbst, im Strahl gespuckt und weiß, dass es nicht nur mir so geht. Falls die Nacht glimpflich ausgegangen sein sollte, wollte spätestens am Tag danach was raus. Eigentlich kann man diesen Körper ja ganz gut gebrauchen: Meiner zumindest zeigt mir immer sehr deutlich, was er gut findet und was nicht.

An eine Alkoholpause war trotzdem nie zu denken, und das kennt ihr vielleicht, es steht ja immer was an: Weihnachtsfeier, Mädelswochenende, Geburtstag. Also nein, es gab partout keinen richtigen Zeitpunkt für Detoxkram, also habe ich fleißig weiter getrunken wie 'ne Große, die mahnenden Worte meines Körpers ignorierend. Der sollte bitte die Schnauze halten!

Dann kam der Tag, an dem meine Seele schrie. So ohrenbetäubend laut, dass klar war: Äh, jetzt mal besser keinerlei Rauschmittel mehr! Nee, ein „richtiges“ Alkoholproblem hatte ich nicht. Ich war „Normaltrinkerin“ – eine, die nicht alleine gepichelt, aber in Gesellschaft immer selbstverständlich ja gesagt hat. Eine, die am Wochenende – aber nicht jedes – vorgeglüht hat und nachts angesoffen oder morgens raketenvoll ins Bett getaumelt ist. Ich sag's ja: normal.

Die gesundheitlichen Risiken des Alkoholkonsums können bereits bei durchschnittlichen Trinkmengen beginnen.

Dieses „normal“ ist weit verbreitet und medizinisch betrachtet abnormal, weil heikel: Die gesundheitlichen Risiken des Alkoholkonsums können bereits bei durchschnittlichen Trinkmengen von zehn Gramm Alkohol pro Tag bei Frauen und 20 Gramm bei Männern beginnen, also bei einem kleinen Sektglas. Da schluckt ihr, wa?! Und da gibt’s ja noch das „Binge-Drinking“, von dem wir wohl alle ein Lied lallen können: Binge-Drinking bezeichnet den Konsum größerer Alkoholmengen pro Trinkgelegenheit. So sind bei Männern der Verzehr von 1,25 Litern Bier und bei Frauen das Picheln von vier Gläsern Wein nachweislich gesundheitlich riskant, unabhängig von der durchschnittlich konsumierten Gesamtmenge an Alkohol.

Klar weiß man – selbst beim gepflegten – Saufen, dass der Stoff uns nicht so gut tut wie ein Kamillentee. Aber das ist genauso egal wie die negativen Folgen des Rauchens. Wer die vermeintlich schwindend geringen oben aufgeführten Mengen regelmäßig überschreitet, macht sich darüber wahrscheinlich keine Gedanken, denn es trinken ja alle und viele deutlich mehr als man selbst. Man möchte nichts ändern, steckt in der Phase der Absichtslosigkeit, wie es im Fachjargon heißt, und glaubt, der eigene Konsum sei völlig ungefährlich.

Ist er leider nicht, denn das Überschreiten der lächerlichen risikoarmen Grenzen erhöht das Risiko von Bluthochdruck und diversen Krebserkrankungen, kann wichtige Organe schädigen und zu Übergewicht führen, siehe Bierbauch. „Aber in geringen Mengen soll Alkohol doch sogar förderlich für Herz und Gefäße sein?!“, werdet ihr jetzt rufen. Dieser Vorteil gilt leider nur für ältere Menschen, schade auch.

Mal über die Selbstverständlichkeit unseres sinnlosen Saufens nachzudenken, wäre nicht verkehrt.

Ich möchte nicht ermahnen, ihr möget euch künftig bei jedem „trink doch eene mit“ anstellen. Aber mal über die Selbstverständlichkeit unseres sinnlosen Saufens nachzudenken, wäre nicht verkehrt. Was tatsächlich zu einem bewussteren Konsum oder sogar einem Detoxmonat führen könnte, wäre das Erstellen einer Pro-Contra-Liste: Wer aufschreibt, welche Vor- und Nachteile er mit seinem bisherigen Bechern verbindet, mag dabei nüchtern betrachtet schnell erleuchtet werden.

Ich lasse den erhobenen Zeigefinger jetzt sinken und gestehe: Nach der eher ungeplanten Fahrt zur Endstation Enthaltsamkeit bin ich nach vier Monaten Soberness – in denen ich den Alkohol tatsächlich nicht vermisst habe – kürzlich doch wieder auf den ersten Zug aufgesprungen und hänge an Gläsern und Flaschen. Denn irgendwann kam er dann doch – der "Ach scheiß drauf"-Moment und die große Lust auf ein Glas Weißwein an einem der letzten lauen Abende des Jahres.

Dennoch trinke ich nicht mehr so wie vorher. Ich pflege nun, maß- und stilvoll zu trinken, und genieße das sehr. Zugegebenermaßen war ich etwas enttäuscht vom Detoxeffekt: Weder mein Aussehen, noch meine Gedächtnisleistung haben merklich von der Enthaltsamkeit profitiert. Aber für's Jeföhl war die Erfahrung super: Sonst eher undiszipliniert, habe ich mir was bewiesen, war damit vielen ein Vorbild, habe festgestellt, dass es ganz herrlich ist, nach einer Party klar nach Hause zu kommen und aufzuwachen und es als gar nicht schlimm empfunden, ein herausstechendes Cocktailschirmchen zu sein. Coktailschirmchen sind ja was Schönes.

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