Miese Gäste sind mindestens genauso schlimm wie mieser Service

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Bald 20 Jahre liegt der Tag zurück, an dem ich mir das erste Mal eine dieser endlos langen schwarzen Gastro-Schürzen aus viel zu schwerem Baumwollstoff um die damals noch zarten Hüften geschnürt habe. 14 war ich – und im Restaurant um’s Eck Eiskugeln zu schaben, gehörte nicht wirklich zur Erfüllung meiner Teenie-Träume. Nur hatte meine Mama nun mal beschlossen, dass Taschengeld überbewertet ist – dass sie schon für alles Notwendige aufkommen würde und dass ich für den Rest eben arbeiten gehen müsse. Und da ständig neue Klamotten und die aktuellste Ausgabe sämtlicher Modezeitschriften nun mal nicht unter „alles Notwendige“ fielen, musste ich wohl oder übel genau das tun: arbeiten gehen.

Eigentlich wollte ich direkt einen klassischen Kellner*innen-Job – weil ich wusste, dass es dann statt der paar Kugeln Eis für lau endlich richtiges Trinkgeld geben würde. Nur war ich dafür anfangs zu jung. Also zogen zwei Sommer voller Schoko-Stracciatella-Erdbeer-Bestellungen ins Land, bis ich mit 16 endlich auf jene Kundschaft losgelassen wurde, die mehr Geld daließ als nur die zwei Mark für zwei Bällchen.

Mir gefiel das Konzept, für gute Leistung und Freundlichkeit belohnt zu werden.

Mein Start ins echte Service-Leben war, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Vor allem, weil mein Chef-Kellner mich für jeden falsch eingeschenkten Wein, jeden zu früh abgeräumten Teller, jedes falsch sortierte Besteck und jeden übersehenen Fleck beim Gläserpolieren mit einer neuen Endlos-Rede in Sachen Gastro-Regeln bestrafte – und sich dazu noch das Vorrecht aufs Kassieren bunkerte. So viel zum Trinkgeld. Nach etwa einem halben Jahr hieß es dann aber doch: „Wird Zeit, dass du dir ein Kellner-Portemonnaie besorgst.“ Halleluja!

Obwohl mein erster Stundenlohn von Sechsmarkirgendwas nicht der Rede wert war, blieb ich dabei. Ich verdiente mein Geld mit Kellnern. Selbst während des Studiums – als der Großteil meiner Kommiliton*innen sich Jobs und Praktika im Medienbereich suchte – band ich sie mir jeden Abend aufs Neue um: diese lange schwarze Gastro-Schürze aus viel zu schwerem Baumwollstoff. Ich rannte mir im Sommer auf riesigen Terrassen die Hacken wund, sparte mir dank Bierkrugheben im Akkord das Fitnessstudio, lernte in einer italienischen Kaffeebar das Milchaufschäumen und arrangierte mich mit den Launen cholerischer Köche, die einem an einem Tag ein herrliches Pausenessen zauberten und am anderen schreiend einen Teller nachwarfen.

Zehn Jahre ging das so. Weil mir das Konzept gefiel, für gute Leistung und Freundlichkeit belohnt zu werden. Und tatsächlich verdiente ich damit weit mehr Geld als all die anderen, die sich mit Praktika und Studijobs den Lebenslauf pimpten.

Ich wusste: Noch ein paar Wochen und ich würde sie hassen – Menschen, und zwar alle!

Doch irgendwann kam der Tag, als es nicht mehr ging. Es war Zeit aufzuhören. Nicht etwa, weil mir der Job körperlich zu anstrengend geworden wäre oder ich endlich auch meine Vita aufpolieren wollte. Nein, Grund waren die Gäste. Ich wusste: Noch ein paar Wochen und ich würde sie hassen – Menschen, und zwar alle! Noch ein Fingerschnippen und ich würde jemandem mutwillig den Cappuccino über den Schoß kippen. Noch ein „Hallo, junges Frollein!“, noch ein „Die zwei Cent sind für Sie!“ und ich würde…Ja, was würde ich? Ich wollte es nicht herausfinden.

Zehn Jahre lang hatte ich mehr oder minder darüber hinweggesehen, dass es da draußen Menschen gab, die Kellner*innen für ihre persönlichen Leibeigenen hielten – für minderbemittelte Kreaturen ohne Abschluss, die darum Teller tragen und Wünsche auf Zuruf erfüllen müssen. Ich hatte gelernt, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, wenn jemand sein gesamtes Kleingeldfach auf dem Tisch entleerte, um damit die Cola, an der er oder sie zwei Stunden lang genippt hatte, auf den Cent genau zu bezahlen. Ich konnte dreist-dämlichen Flirtversuchen und Anmachsprüchen irgendwann gewandt kontern – und trug den Teller wortlos zurück in die Küche, wenn mal wieder jemand meinte, das Essen reklamieren zu müssen, nachdem die Hälfte schon verputzt war.

Es machte mir nichts aus. Oder eben nicht so viel, als dass ich den Job nicht trotzdem gerne gemacht hätte – weil die Mehrheit der Gäste dann eben doch nett und freundlich war. Doch über die Jahre füllte sich mein Wutfass mit jedem Schnippen, mit jeder arroganten Bemerkung und mit jedem Motzen ein bisschen mehr. Und da man den Topf mit kochenden Kartoffeln ja auch am besten vom Herd nimmt, bevor er überläuft, habe ich genau das getan.

Wer es jedoch nicht (mehr) erträgt, Diener*in zu sein, sollte die Schürze ablegen.

Inzwischen sitze ich auf der anderen Seite – der des Gastes. Und ich rege mich immer noch über sie auf: Diese Typen, die Kellnerinnen hinterherschnippen und „Ey, Frollein!“ rufen. Über die, die keinen Cent Trinkgeld geben, obwohl sie rundum freundlich und schnell bedient wurden. Und auch über die, die es witzig finden, den Service zu fragen, ob das Kalb erst noch geschlachtet werden muss, bevor es in der Pfanne landet.

Doch inzwischen macht mich nicht nur dieser Teil sauer. So ist das eben, wenn man plötzlich auf der anderen Seite sitzt. Mittlerweile ärgere ich mich nämlich auch über Kellner*innen, die ihren brodelnden Topf offenbar nicht rechtzeitig vom Herd genommen haben. Weil man ihnen anmerkt, wie sehr sie ihren Job mittlerweile hassen. Weil jedes Lächeln aufgesetzt ist. Weil jede Nachfrage mit pampig-genervtem Unterton beantwortet wird. Und vor allem, weil sie damit nicht nur mein Erlebnis als Gast kaputt machen, sondern auch den Laden, für den sie arbeiten.

Niemand sollte andere wie Diener*innen behandeln, nur weil die eine dieser langen schwarzen Gastro-Schürzen aus viel zu schwerem Baumwollstoff um die Hüften tragen. Wer es jedoch nicht (mehr) erträgt, Diener*in zu sein, sollte eben diese Schürze ablegen. Weil miese Gäste in der Gastronomie nun mal mindestens genauso schlimm sind wie mieses Personal.

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