Scheiß auf Hobbys – lasst uns Zeit vergeuden!

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Früher, in der Schulzeit, da hatten wir unzählige Hobbys. Es gehörte irgendwie dazu. Klar, was sollte man sonst auch in all die Freundschaftsbücher der Klassenkameraden eintragen. Da folgte die Frage nach den „Hobbys“ schließlich direkt nach Name und Geburtstag. Frei nach dem Motto: Hast du keine, bist du nichts – außer vielleicht ein Langweiler und ein ziemlich seltsamer Kauz noch dazu. Ich habe dort immer so etwas wie „Malen, Töpfern und Lesen“ eingetragen. Glaube ich zumindest. So ganz genau kann ich mich nicht erinnern, was daran liegen mag, dass ich aufgrund meiner wachsenden Hobbylosigkeit nicht davon profitiere, dass Hobbys laut einer neuen Studie angeblich Alzheimer vorbeugen.

Als Kind hingegen wurde ich diversen Bespaßungsversuchen unterzogen – von der Schach AG und Häkel-Gruppe über Chor und Judo bis hin zum Keramik-Töpferkurs. Selbst Briefmarken und Ü-Eier-Figuren habe ich gesammelt, um sie mit Gleichgesinnten zu tauschen. Bis ins Erwachsenen-Dasein hat es jedoch keine dieser Aktivitäten geschafft. Und das nicht nur, weil im „echten Leben“ weniger Zeit für Hobbys bleibt, sondern vor allem, weil mich das Zwanghafte daran stört. Jede Woche zu einer festen Zeit an einem bestimmten Ort sein zu müssen, nervt. Weil es einen ohnehin schon getakteten Alltag in noch mehr Struktur presst.

Das taugt nicht für eine dieser Achtsamkeitslisten, in denen ich notiere, was ich heute wieder alles Tolles geschafft und erlebt habe.

Was soll ich also antworten, wenn mich heute jemand nach meinen Hobbys fragt? Klar, ich könnte ehrlich sein und sagen, dass ich keine habe. Nur wissen wir dank Ratgeber-Artikeln wie „Mit diesen Hobbys schinden Sie in Ihrer Bewerbung so richtig Eindruck“, dass die Drittklässler-Regel offenbar bis heute gilt: Keine Hobbys – das klingt nach Langweiler und Weirdo. Außerdem wirkt es so schrecklich unambitioniert.

Also würde ich der Wahrheit wohl ein bisschen Rouge auflegen und versuchen, die Dinge, mit denen ich meine Freizeit verbringe, zum „Hobby“ zu pimpen: Essen gehen, Netflixen, stundenlang auf Instagram und News-Seiten abhängen – das klingt verpackt als „Kochen, Film, Bloggen, Fotografie und Lesen“ gleich nicht mehr ganz so belanglos wie es ist. Und Reisen – ja, das kommt auch auf die Liste, denn auf Urlaub stehen wir ja irgendwie alle.

All das Vokabel-Tuning würde natürlich nichts daran ändern, dass nichts davon wirklich als Hobby durchgeht. Um genau zu sein, taugt es noch nicht einmal für eine dieser Achtsamkeitslisten, in denen man notiert, was man heute wieder alles Tolles geschafft und erlebt hat. Weil mein größtes Hobby dann wohl doch vor allem eines ist: Zeit verschwenden.

Zeit zu vergeuden – das fühlt sich schäbiger an, als im Öko-Café nach einem Plastikstrohhalm zu fragen.

Das darf man so natürlich nicht sagen. Schließlich predigen Erfolgsgurus und Selfmade-Sonstwas-Typen an jeder Ecke, dass Zeit unser wertvollstes Gut ist. Die zu vergeuden – das fühlt sich schäbiger an, als im Öko-Café nach einem Plastikstrohhalm zu fragen. Es ist, als würde der Druck, den unsere Eltern verspürt haben – der Druck, unsere Kindheit auch jenseits von Gameboy und Tamagotchi mit Sinn zu füllen – nie aufhören. Nur dass wir uns diesen Druck inzwischen selber machen.

Doch was ist eigentlich so schlimm daran, (Frei-)Zeit zu vergeuden – sie einfach mit vollen Händen für sinnlosen Kram auszugeben, als hätten wir gerade im Zeit-Lotto gewonnen? Den ganzen Sonntag netflixend im Bett rumgammeln statt Vereinsfußball, nach Feierabend essen gehen statt After-Work-Yoga, auf der Couch versacken statt Chinesisch-Sprachkurs. Einfach mal nicht abliefern, mal keinen Sinn stiften, einfach nur sein. Das können wir in unserer freien Zeit – weil sie die einzige Währung ist, die wir aus dem Fenster schmeißen dürfen, ohne dass der Steuerberater anruft, weil die Bilanz nicht stimmt. Also: Scheiß auf Hobbys – lasst uns Zeit vergeuden!

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