The-Good-Food-Gründerin Nicole – eine coole Socke mit großen Plänen
Fast 13.000 Menschen verfolgen „The Good Food“ bei Facebook und die Medien, sogar internationale, stürzen sich auf Kölns Supermarkt gegen Lebensmittelverschwendung, wie deren Gründerin und ihr Team sich auf alles stürzen, was es vor der Tonne zu retten gilt. Der Medienhype – ja, es ist ein Hype! – kommt nicht von ungefähr: Nicole Klaski hat mit ihrem Konzept Pionierarbeit geleistet, „The Good Food“ war der erste „Reste“-Supermarkt Deutschlands. Achtung, Achtung: Damit haben wir Berlin tatsächlich was voraus, auch wenn die Hauptstadt mittlerweile mit den zwei „Sirplus Rettermärkten“ nachgezogen hat. Gegen die ist unser Lädchen klein, wird aber mit umso größerem Herzen betrieben: Auf den 30 Quadratmetern arbeiten nur Ehrenamtliche, die für die gute Sache brennen.
Die gute Sache ist der dringend nötige Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel kloppen wir Deutschen jährlich in die Tonne. Rund 60 Prozent davon wären genießbar, werden aber weggekachelt, weil sie optisch nonkonfom sind. Zu kleine Kartoffeln, zu krumme Möhren, zu dicke Spargelstangen, dies und das von dem zu viel zu gewachsen ist – Nicole und ihre Helfer holen von den Feldern im Kölner Umland, was sonst untergepflügt würde.
Neben Nachgeerntetem gibt’s in dem Laden in der Venloer Straße auch Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum kurz bevor steht oder kürzlich abgelaufen ist. Immer mit Hinweis darauf, klar. Unbedenklich ist das alles. Und vieles nicht mal abgelaufen, sondern wurde andernorts einfach ausrangiert. Geschäfte schmeißen raus, was zu viel ist, was nicht mehr in die Regale passt, was neuen Produkten Platz machen muss. So gibt’s bei „The Good Food“ neben Gemüse und Obst auch Süßkram und Knabberspaß, Unmengen an Popcorn, Marmeladen, Backzutaten, Craftbier, Wein, Kokosmehl, Tee, Chiatoppings und Couscousfrühstück von der Biomarke Davert und nicht zu vergessen: Backwaren vom Vortrag, seit neustem auch von Merlê, einem deutsch-französischen, traditionellen Highend-Bäcker.
60 ehrenamtlicher Helfer
Für viele der Lebensmittel müsste man eigentlich tief ins Portemonnaie greifen. In Nicoles Laden entscheidet jeder selbst, wie tief er greift, denn statt Preisschildern gibt’s hier Tafeln, auf denen steht „Zahl, was es dir wert“ ist. Das überfordert so manchen. Viele geben deutlich mehr, als nötig wäre. Man will ja nicht kleinlich rüberkommen.
Dann gibt’s aber auch die, die gar nicht selbst entscheiden wollen und das Personal bitten, ob nicht vielleicht doch ein Preis genannt werden kann. Und diejenigen, die das Konzept ausnutzen und unverschämt wenig bezahlen, die gibt es genauso. Darauf war Nicole von vornherein eingestellt und regt sich, wie scheinbar eh nie, nicht darüber auf. Für ihr Team tut es ihr aber leid. Ihre 60 ehrenamtlichen Helfer identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit. Da ist jeder dreiste Kunde ein Schlag ins Gesicht. Eine Klatsche die sagt: „Ich wertschätze nicht, was du tust.“ Und Zurückklatschen geht nicht, das würde dem Konzept widersprechen.
Dem Konzept, das ausrangierte Lebensmittel wieder in Umlauf bringt und die Wertschätzung ebendieser transportieren möchte. Die 35-Jährige erklärt: „Wir wollen ja, dass die Leute sich damit beschäftigen, wie Preise zustande kommen und überlegen: Was passiert mit diesen Kartoffeln, bis sie hier vor mir liegen.“ Überlegen, dass Felder in Stand gehalten und Kartoffeln gewässert, geerntet, gelagert und transportiert werden müssen. Es liegt auf der Hand, dass sich nicht jeder solch weitreichende Gedanken macht. Das ist auch okay. Und die richtig dreisten Kunden sind auch okay, denn et hätt noch emmer joot jejange: Die Gönnerhaften und die Geizkrägen halten sich die Waage und überhaupt: „Geld ist nicht das Problem, wir haben keine finanziellen Sorgen“, sagt Nicole.
"Ich war erschüttert, wie viel wir wegschmeißen"
Diese Sicherheit ist der Gründerin wichtig. Deshalb agiert sie behutsam. Immer Schritt für Schritt, bloß nicht alles auf einmal. Man kann „The Good Food“ riesengroß denken, es gibt einen Haufen Ideen, das Gesamtkonzept bietet schier grenzenloses Potenzial. Aber Nicole findet: „Das muss organisch wachsen“ und möchte „nichts verfrüht machen“. Mit dieser Devise ist sie bislang gut gefahren. Hat mit ihrer Mission der Lebensmittelrettung einst ganz zaghaft begonnen. Zu der ist sie 2011 gekommen. Während ihres Auslandssemesters in Nepal hat sie erlebt, mit wie wenigen Ressourcen man auskommen kann, Wasser und Elektrizität waren immer knapp. Aber irgendwie hat’s doch funktioniert. „Zurück in Deutschland war ich entsprechend erschüttert darüber, was wir hier alles haben und wie viel wir verschwenden, nicht nur an Ressourcen, sondern auch an Lebensmitteln. Und vor allem, wie viel wir wegschmeißen.“
2012 ist sie bei der Initiative Foodsharing ein- und dort zur Geschäftsführerin aufgestiegen. Und trotzdem war da das Bedürfnis, auch etwas eigenes für die gute Sache und gegen Verschwendung auf die Beine zu stellen. Mit dem Auto ihrer Tante fuhr sie irgendwann zum Lammertzhof in Kaarst, um Kartoffeln nachzuernten und ein Mal wöchentlich zum zahl-was-es-dir-wert-ist-Preis anzubieten, an einem mini Marktstand vorm Weltempfänger Hostel.
Aus diesem kleinen Samen für das Gute wuchs bald eine gewaltige Keimzelle für den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. Die begeisterte Stammkundschaft und Nicole formierten sich schnell zu einer Bewegung, man bot ihr einen Pop-up-Store in der Wahlenstraße an, die Besucherreaktionen und das Medienecho waren enorm. Danach, im Februar 2017, ging's vom nächsten vorübergehenden Domizil straight in die Venloer Straße, die Hauptschlagader Ehrenfelds. Auf Einladung der Vermieter der Nummer 414, einem Ehepaar, das sein Haus belebt haben wollte.
Eigener Youtube-Channel mit kölscher Prominenz in Planung
Der Laden brummt seit Tag eins. Anfangs noch etwas spärlicher bestückt, sind die Regale hier heute meist pickepackevoll. Alle wollen mitmachen, als Kooperationspartner oder mit Manpower. Einige Omis bringen regelmäßig ausrangierte Tüten für die Kunden vorbei. Das ist für Nicole Crowdfunding: Es gibt da eine Menschenmasse, die sie unterstützt. So macht „The Good Food“ mittlerweile regelmäßig Caterings mit geretteten Nahrungsmitteln. Und bewirtschaftet den Biergarten vom Odonien mit Pommes, Suppen und Salaten.
Langfristig ist ein regelmäßiger Mittagstisch geplant und im Herbst geht der eigene Youtube-Channel an den Start – mit einer Kochshow, in der kölsche Prominenz in den Töpfen rührt, was eigentlich längst im Abfall wäre. Gelebter Kampf gegen Essensverschwendung also. Angetrieben von einer Frau, die am Ende des Tages eine Müslifresserin, vor allem aber eine verdammt coole Socke und bewundernswert ist. Für die es der blanke Horror wäre, nur zu arbeiten, um die Miete bezahlen zu können. Der das Wort Karmakonsum für ihren Laden nicht gefällt, weil Konsum ihr zu stark mit Geld verknüpft ist. Die seit Jahren nicht mehr in einem normalen Supermarkt eingekauft hat, Kleidertauschpartys organisiert statt shoppen zu gehen und bis vor kurzem von 500 Euro im Monat gelebt hat. Der das Gen für's Gute nicht mal in die Wiege gelegt wurde: In ihrer Kindheit gab's keine Grünkernbratlinge und ihre Eltern sind weder privat, noch beruflich Ökofritzen. Sondern Taxifahrer und Klamottenverkäuferin, die bei Aldi einkaufen. Auf ihren ersten Metern in Richtung „ein bisschen die Welt retten“ waren Mama und Papa skeptisch. Hatten ihr zwar mal geraten: „Mach doch das, woran du Freude hast“, waren dann aber doch besorgt, was aus der Tochter wohl wird.
Die Lebensmittelretterin Deutschlands ist aus ihr geworden. Aus ihr, die so bescheiden ist. Aus ihr, die niemals prahlen würde, sondern demütig sagt: „Ich bin sehr privilegiert.“ Und aktuell ein Stück weit überfordert. Seit Kurzem ist sie nämlich auf gemeinschaftlichen Beschluss hin die erste Angestellte von „The Good Food“ und verdient jetzt Mindestlohn für ihren Vollzeitjob, der genau genommen ein 24/7-Job ist. Nicole weiß noch gar nicht, was sie mit dem ganzen Geld machen soll. „Das kann man ja auch wieder in ein sinnvolles Projekt investieren“, überlegt sie.
The Good Food | Venloer Straße 414, 50825 Köln | Montag – Samstag: 11-19 Uhr | Mehr