Unser Protest ist gut gemeint, aber schlecht gemacht
Unserer Generation wird von selbsternannten Generation-Y-Experten gerne nachgesagt, wir seien unpolitisch und hätten das Protestieren verlernt – wir, die Gutausgebildeten, die nur noch um das eigene beziehungsunfähige Ich kreisen und laut nach „Work-Life-Balance“ schreien.
Dass das – wenn überhaupt – nur die halbe Wahrheit ist, hat die #unfollowme-Kampagne am Wochenende mal wieder gezeigt. Unzählige Instagram- und Facebook-User haben unter dem Hashtag ihre Follower aufgerufen, ihnen zu entfolgen, wenn sie rechtes Gedankengut unterstützen. Da war er also wieder: der Protest. Nur eben in neuen Kleidern. Er marschiert eben nicht mehr (nur) mit Transparenten auf der Straße, sondern surft auf großer Welle durchs Netz. Und damit geht es dem Protest wie vielen anderen Dingen auch. Dem Telefonieren zum Beispiel. Wer läuft heute schon noch zur Telefonzelle?
So viel Protest war noch nie, möchte ich fast sagen.
Tatsächlich, so scheint es mir, lehnt sich unsere Generation gegen alle möglichen Dinge auf. Sei es nun gegen rechte Gewalt, Massentierhaltung, Unterdrückung von Frauen oder Ausbeutung. So viel Protest war noch nie, möchte ich fast sagen. Nur dass der Widerstand 2.0 weniger Eindruck schindet – weil er sich öfter in kleinen statt in großen Gesten äußert. Zum Beispiel, wenn wir Soya-Latte trinken, in Second-Hand- und Unverpackt-Läden einkaufen, Hashtags wie #metoo, #unfollow und #hambibleibt benutzen. Das knallt nicht. Zumindest nicht so wie früher. Das gibt keine geschichtsträchtigen Bilder wie damals bei der Studentenbewegung. Keine besetzten Hörsäle, keine Barrikaden, keine fliegenden Steine, keine brennenden Autos. Und das ist auch ganz gut so, wenn ihr mich fragt.
Wenn sich alles wandelt, dann darf das auch der Protest. Nur weil er immer öfter in Likes, Hashtags und Online-Petitionen spricht, heißt das nicht, dass er verstummt ist. Auch wenn es manchmal so aussehen mag. Vor allem dann, wenn sich andere der altbekannten Sprache des Protests bedienen, wenn sie Bilder schaffen, die eben doch knallen – so wie in Chemnitz, wo plötzlich tausende Rechte durch die Straßen marschierten. Da wurde der Widerstand 2.0 wach, weil er merkte, dass er selbst offenbar eine Sprache spricht, die von vielen (noch) nicht gehört wird. Also schaltete er kurz zurück auf analog und zeigte: Ich bin auch da. Ergebnis war das „Wir sind mehr“-Konzert, auch in Chemnitz – mit Bildern, die knallten, aber natürlich nicht ohne passendes Hashtag und entsprechende Facebook-Banderole.
Dieses eine Rechts, das als glatzköpfiges Nazi-Pack in Springerstiefeln und mit Hitlergruß durch die Innenstädte marschiert, das gibt es nicht mehr.
Er ist also da, der Protest. Man muss ihn nur sehen und hören wollen. Das beruhigt irgendwie. Und doch hat der Protest, so wie ich ihn aktuell erlebe, auch etwas Beunruhigendes. Weil er immer öfter mehr spaltet, als dass er uns zusammenführt. Auch das hat die #unfollowme-Kampagne gezeigt. #unfollowme – das sagt: Geh weg, du bist schlecht, mit dir will ich nichts zu tun haben und das Reden, das lassen wir jetzt auch sein. Es grenzt aus und bedient, genauso wie #wirsindmehr, das Konzept von „Wir sind die Guten, ihr seid die Bösen“ – ein Konzept, das ideologisch für beide Seiten funktioniert.
Es ist ein nachvollziehbarer Reflex – weil manche Einstellungen und Ereignisse einen nicht nur ratlos, sondern vor allem wütend zurücklassen. Auch ich denke oft genug, dass Reden manchmal einfach nicht mehr hilft, dass irgendwann mal Schluss ist mit lustig, dass wir den Laden einfach mal ordentlich ausräuchern und dem rechten Pack das Maul stopfen sollten. Doch so leicht ist es nun mal nicht. Leider. Weil sich nicht nur der Protest gewandelt hat – auch die Schubladen wollen nicht mehr so recht passen. Dieses eine Rechts, das als glatzköpfiges Nazi-Pack in Springerstiefeln und mit Hitlergruß durch die Innenstädte marschiert, das gibt es nicht mehr. Oder zumindest nicht nur. Die hässliche Fratze von Intoleranz und Hass trägt immer öfter ein bürgerliches Gesicht – und wenn Gegenhetze, Gegenhass, Verurteilung und Abgrenzung alles sind, was wir dem entgegenzusetzen haben, dann finde ich das sogar ziemlich beunruhigend.
Es scheint mir manchmal, als hätten wir Reden, Zuhören und Toleranz verlernt – das gilt nicht nur für die großen politischen Fragen.
Es scheint mir manchmal, als hätten wir Reden, Zuhören und Toleranz verlernt – weil Verurteilen und Draufhauen nun mal schneller und einfacher ist. Das gilt im Übrigen nicht nur für die großen politischen Fragen: Der Green-Fashion-Blogger zeigt mit erhobenem Finger auf Menschen mit Primark-Tüten, die Feministin spricht allen Bachelor-Teilnehmerinnen den gesunden Menschenverstand ab, der Veganer nennt den Fleischfresser „Mörder“, der Fleischfresser wiederum stellt den „Körnerfresser“ wegen seiner Lederturnschuhe zur Rede, der Vorstandsvorsitzende schimpft den Hartz-IV-Empfänger „faules Pack“ und der Radikale regt sich über sie alle auf – weil sie sich nicht für die richtige Sache engagieren.
All das ist natürlich irgendwie nachvollziehbar. Weil es oft nur schwer zu ertragen ist, wenn andere die eigene tiefste Überzeugung von dem, was richtig und was falsch ist, nicht teilen. Doch wenn wir nicht lernen, damit umzugehen und uns genau damit friedlich auseinanderzusetzen, dann sitzen wir irgendwann alle in unserer Ecke, reden nicht mehr, hören nicht mehr zu, hassen nur noch – und am Ende werfen wir dann vielleicht doch wieder Steine und zünden Autos an.