Warum ich mich jetzt schon auf das Ende des Sommers freue

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Jeden Sommer ist es dasselbe. Um genau zu sein, fängt das Elend ja schon im Mai an: Die Tage werden langsam länger und wärmer – und die ganze Welt jubelt. Endlich können wir wieder leben und endlich sind wir wieder glücklich! Endlich raus und im Park sitzen. Als wäre der Rest des Jahres eine einzige Qual und nicht lebenswert. Während ihr in Jubelgesänge ausbrecht, bin ich gestresst. Denn ab jetzt werden die Wochenenden zum reinsten Wahnsinn. Jeder, von der komischen Arbeitskollegin bis zu den verschollenen Schulfreunden, alle wollen plötzlich mit mir grillen. Ich muss in diesen wenigen Sommermonaten die halbe Weltbevölkerung treffen. Als könnten Freundschaften nur im Sommer leben. Jedes Wochenende ein anderer Garten oder Park. Und überall soll ich Hugo trinken und glücklich sein.

Und keiner darf drinnen sitzen. Lesen auf der Couch? Fernsehen gucken? Küchenpartys? Alle müssen raus raus raus! Vielleicht ist es das letzte Mal in unserem Leben, das wir die Sonne sehen. Also schleppe ich mich, damit ich überhaupt mal jemanden zu Gesicht bekomme, in diesen dämlichen Park, sitze auf dieser vollgemüllten und zugeschissenen Wiese. Wenn ich es überhaupt schaffe, meine Beine zu sortieren, ohne einen Hüftschaden zu erleiden. Wenn ich richtig Pech habe, muss ich auch noch Wikingerschach mitspielen und irgendjemand holt seine Gitarre raus. Und wehe, du hast nicht die absolute Bombenlaune. Im Sommer ist man gefälligst immer glücklich.

Und ständig wollen alle Melonen essen.

Für diese Park-Verabredungen kaufe ich dann den gesamten Barilla-Bestand meines heimischen Rewes auf, um den immer gleichen Chefkoch-„Tollen Nudelsalat für sechs Personen“ zu kochen und ihn, zwischen meinen Beinen geparkt, zusammen mit einem peinlich klirrenden Sixpack irgendwas, in der stickigen KVB irgendwo hinzuschleppen. „Meeeeeensch, was haben wir für ein Glück mit dem Wetter, was?“

Und ständig wollen alle Melonen essen. Was ist das mit den Menschen und der Melone? Überall muss im Sommer Melone rein. Also schleppe ich dieses kindsgroße Ungetüm unterm Arm durch mein Leben. Und irgendjemand findet es noch immer lustig „Ich habe eine Wassermelone getragen!“ zu rufen. Und alle wollen was „Erfrischendes“. Also erntet irgendjemand seinen Kräutergarten ab und kippt das Grünzeug mit einer Beere, die ich meiner Lebtage noch nicht gesehen habe, in einen Sekt. „Wow, wie erfrischend!“ Bah.

Im Sommer klebt nachts alles. Da will ich niemanden neben und schon gar nicht auf mir haben.

Und was die Liebe angeht, ist der Sommer schräg. Alle umarmen sich und finden neue beste Freunde und dieses Zusammenrotten auf den Wiesen verursacht mehr Sex und Liebe als jede andere Jahreszeit. Warum? Gibt es eigentlich keine „Winterromanze“? Kann Liebe nur im Sommer wachsen? Schnee scheint nicht betörend zu sein. Dabei ist Zweisamkeit im Bett doch bei Kälte viel schöner. Im Sommer klebt nachts alles. Da will ich niemanden neben und schon gar nicht auf mir haben.

Und ich schwitze. Den ganzen Tag. Die Kleidung klebt, wenn ich es überhaupt geschafft habe, mich wettergerecht anzuziehen. Ich würde mir ja am liebsten ein Loch in ein Bettlaken schneiden und es mir über den Kopf ziehen. Aber irgendwie lastet im Sommer der Modedruck so auf mir.

Dabei ist Sommermode so kompliziert. Die Hälfte der Klamotten, die im Schaufenster hängt, würde ich maximal tragen, wenn ich eine Wette verloren hätte. Diese schrägen Farben und diese seltsamen Schnitte. Alles wird geschnürt und gewickelt und dabei muss man aufpassen, dass nichts rausfällt oder hochfliegt. Ab Oktober kann ich mich endlich einhüllen und in der Kneipe ganz geschmeidig breitbeinig sitzen.

Endlich wieder drinnen sitzen, ohne dass uns unsere Zurechnungsfähigkeit aberkannt wird.

Gebt Herbst und Winter auch einmal die Chance, eine gute Jahreszeit zu werden! Wir können drinnen bleiben und schlechte Laune haben, ohne komisch zu sein, wir können auf der Couch lesen, im Restaurant von Viechern ungestört drinnen sitzen, Glühwein trinken und lange Hosen tragen, ohne dass uns unsere Zurechnungsfähigkeit aberkannt wird. Wir können schön dicke Knödel mit Wild essen, rodeln, kuschelige Mützen tragen, den Kamin anmachen und viel enger zusammenrücken, egal ob in Bars, im Bett oder beim Spazierengehen. Der Winter ist die beste Jahreszeit – für die Liebe und überhaupt.

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