„Sehen wir uns noch dieses Jahr?“
Was genau ist es, in den letzten Wochen eines jeden Jahres, das die Leute in den absoluten Stressmodus zu versetzen scheint? Diese Frage stelle ich mir immer wieder, aber aus irgendeinem Grund rückt die Antwort in immer weitere Ferne. Das Jahresende, die Feiertage, Silvester – in diesen wenigen Wochen muss offenbar immer alles erledigt werden, was zuvor auf der Strecke blieb.
Die Adventszeit – abgeleitet aus dem lateinischen „advenire“, das „ankommen“ bedeutet, hat heute so gar nichts mehr mit ihrem Ursprung zu tun. Im Gegenteil. Jeder muss irgendwohin. Heute, morgen, „zwischen den Jahren“ – alles ist zugepflastert mit Verabredungen und Terminen. Und dann kommt er, der Satz, den man verlässlich immer und immer wieder zu hören bekommt: „Sehen wir uns noch dieses Jahr?“.
Eine Frage, die meistens mit einem Unterton von Stress einhergeht. Denn der Fragende weiß vor lauter Terminen meist selbst nicht so recht, wie er dieses Treffen noch unterbringen soll. Aber die Vorstellung, man könnte sich erst im nächsten Jahr wiedersehen, scheint derart zu schmerzen, dass man lieber alles daran setzt, mit jedem noch mindestens einen Glühwein trinken zu gehen.
Irgendwas in uns tut so, als würde mit dem endenden Jahr etwas verloren gehen.
Aber was bewegt zu dieser Frage – allgemein, zu dem Gedanken, man müsse noch etliche Dinge vor Silvester erledigen? Geht im neuen Jahr nicht, ohne pessimistisch sein zu wollen, alles meistens ganz genau so weiter wie zuvor?
Natürlich kann es ein befriedigendes Gefühl sein, Dinge abzuschließen und dies mit dem Jahresabschluss zu verbinden. Arbeiten, Rechnungen, vielleicht Hausputz und Ähnliches. Aber Verabredungen sollten wirklich nicht dazugehören.
Doch die Realität ist: Sich zwischen Arbeitsstress und Konsumrausch auch noch zum siebenunddreißigsten Treffen auf den Weihnachtsmarkt zu prügeln, gehört irgendwie zum guten Ton. Man muss sich doch unbedingt noch dieses Jahr sehen. Irgendwas in uns tut so, als würde mit dem endenden Jahr etwas verloren gehen.
Silvester muss nicht die Nacht unseres Lebens sein.
Dabei würden wir uns selbst und unseren Freunden, Kollegen, Bekannten etwas Gutes tun, wenn wir uns frei von Jahreszahlen einfach dann verabreden würden, wenn es passt. Loslassen – egal, ob da nun eine 19 oder eine 20 hinter der 20 steht.
Wir werden zwei oder drei Wochen später kein völlig neuer Mensch sein – auch, wenn wir es manchmal gerne sein würden – und unser Gegenüber genauso wenig. Mit dieser Sichtweise kann man auch Silvester wesentlich entspannter angehen. Es muss nicht die Nacht unseres Lebens sein, die perfekte Party mit dem perfekten Outfit und den perfekten Menschen. Überhaupt: Wer hat jemals geschafft, alle seine liebsten Freunde zu Silvester zusammenzubekommen? Ein weiteres Vorhaben, das meistens nicht viel mehr als einen Haufen Stress mit sich bringt.
Stattdessen könnten wir das Jahresende nutzen, um Zeit nur für uns selbst zu haben. Zum Ankommen. Bei uns selbst.
Stattdessen könnten wir das Jahresende nutzen, um mal wieder Zeit nur für uns selbst zu haben. Entspannen, sich vielleicht im Nichtstun üben, gute Bücher, Serien und Filme konsumieren und: ankommen. Bei uns selbst. Und auf jeden, den wir „dieses Jahr“ nicht mehr getroffen haben, freuen wir uns ganz tiefenentspannt im nächsten Jahr. Das ist nämlich nur wenige Tage entfernt.