Dicker Mann gleich Charaktertyp, dicke Frau gleich fette Sau: Warum wir den Weltfrauentag noch immer brauchen
Erst hatte ich keine Lust, diesen Text zu schreiben. Diesen Text zum Weltfrauentag. Weil dieser Tag mir eigentlich egal war. Weil das einzige, was jemals mein Wahlrecht beschränkt hat, mein Alter war. Weil ich die Gender-Pay-Gap nur aus Studien und Zeitungsartikeln kenne. Weil ich mich im Job nie benachteiligt gefühlt habe, nur weil ich Frau bin. Und weil mir kein Erlebnis einfällt, weswegen ich ein #MeToo in die Welt schicken könnte. Um genau zu sein, hat mich die #MeToo-Debatte sogar immer ein wenig genervt. Weil sie nichts mit mir zu tun hat. Gefühlt zumindest. Und dass Ronja von Rönne schon vor Jahren für ihren Anti-Feminismus-Text einen derartigen Shitstorm kassiert hat, habe ich auch nie so ganz verstanden.
Warum ich ihn dann nicht einfach bleiben lasse – diesen elendigen Text zum Weltfrauentag? Weil die Bagatellisierung dieses Tages ähnlich dumm wäre wie Donald Trump, der den Klimawandel zu Fake News erklärt, sobald in den USA eine Schneeflocke gesichtet wird. Weil ich weiß, dass meine gefühlte Realität nichts mit der tatsächlichen zu tun hat. Und weil es nicht nur naiv, sondern vielleicht sogar ein bisschen gefährlich wäre, wenn Frauen wie ich sich entspannt zurücklehnen und den Feminismus den vermeintlich Hysterischen überlassen – nur weil sie meinen, selbst nicht betroffen zu sein. Weil eben noch längst nicht alles gut ist, nur weil der mächtigste Mensch in Deutschland – und auch der in Köln – eine Scheide hat.
EU-Parlamentarier erklärt, warum Frauen minderwertig sind
Dieses „Nichts ist verdammt nochmal gut“ könnte man jetzt natürlich belegen – mit vielen Zahlen. Statistiken, die zeigen, dass geschlechterbedingte Gehaltsunterschiede und häusliche Gewalt gegen Frauen auch hierzulande noch immer an der Tagesordnung sind. Balkendiagrammen, die beweisen, dass Frauen den Großteil der Hausarbeit übernehmen, dass sie vergleichsweise stärker von Armut bedroht sind, dass sie weniger Charthits landen und in Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert sind. Tabellen, die belegen, dass Männer viel seltener in Elternzeit gehen, aber viel öfter den Oscar gewinnen.
Allerdings sind das dann eben doch wieder nur Zahlen. Und Mathematik ist nicht dafür bekannt, die Emotionen mal so richtig hochkochen zu lassen. Also weg mit der Theorie und her mit der Praxis. Und die zeigt: Das mächtigste Land der Welt hat einen Präsidenten, dessen berühmtestes Zitat „Grab them by the pussy“ lautet. Es ist noch keine drei Jahre her, dass der polnische Politiker Janusz Korwin-Mikke im EU-Parlament einfach mal erklärt hat, warum Frauen minderwertige Lebewesen und weniger intelligent sind. Und Harvey Weinstein, Bill Cosby und Dieter Wedel sind nur die prominente Spitze des Eisberges, wenn es um frauengrapschende Schmierlappen geht.
Dicker Mann – Charaktertyp, dicke Frau – hässliche fette Sau
Wem das immer noch zu weit weg ist, der darf sich zumindest fragen, warum es eigentlich immer noch Schlagzeilen macht, wenn eine Frau sich gegen Make-up entscheidet (Alicia Keys), ihre grauen Haare zeigt (Birgit Schrowange) oder offen zugibt, dass sie mit Kindern wenig anfangen kann (Sarah Kuttner), während all das im Fall eines Mannes niemanden – und zwar wirklich niemanden – interessieren würde. Warum ist ein dicker Mann mit großer Nase ein kerniger Charaktertyp, während die dicke Frau als fette, hässliche Sau beschimpft wird? Weil eben nichts gut ist, weil Feminismus – ganz unabhängig vom Frauentag – nicht ausgedient hat und weil auch ich mich deswegen nicht zurücklehnen sollte.