Liebe Stadt Köln, ich glaube, du verkackst gerade so richtig
Liebe Stadt Köln, wir müssen reden. Denn, Pardon my French, du verkackst gerade komplett. Also so richtig. Die Infektionszahlen explodieren wie ein zu warm gelagerter Hefeteig – und du? Du guckst zu. Ungläubig, untätig. Als wäre das alles eine TV-Reportage aus einem italienischen Krankenhaus, in einem früheren 2020.
Damals, als sich die Kranken stapelten und die Alten zum Sterben aussortiert wurden. Da hast du auch ungläubig geguckt, du hattest Mitleid und warst doch auch irgendwie froh. Froh, dass es nicht der Arzt aus Rodenkirchen ist, der das Beatmungsgerät von Oma Erna abstellen muss. „Was ein Glück, dass wir das hier alles besser gebacken kriegen“, hast du gedacht. Und jetzt stehst du da mit deinem wabernden Hefeteig, es gärt und gärt – und du kriegst rein gar nix gebacken.
Und was du gesagt hast, weißt du ja selber: Nämlich, dass du keinen blassen Schimmer hast, was jetzt zu tun ist.
Du brauchst ein Beispiel, liebe Stadt? Sollst du bekommen: Vor ein paar Tagen hat meine beste Freundin bei dir angerufen. Sie hat sich brav die Corona-App runtergeladen. Weil du es gesagt hast. Und dann ist es passiert: roter Bildschirm, Warnmeldung, oha. Ganz schön beängstigend fand sie das. Aber zum Glück hast du ihr ja eine Nummer gegeben. Wobei. Eigentlich hast du sie irgendwo ins Netz geschrieben und sie musste erstmal suchen. Sei’s drum. Sie lässt sich ja finden – diese Corona-Hotline. Klingt hilfreich.
Also hat sie bei dir angerufen. Und was du gesagt hast, weißt du ja selber: Nämlich, dass du keinen blassen Schimmer hast, was jetzt zu tun ist. „Dazu können wir nichts sagen“ – so hast du jede Frage beantwortet, jede. „Darf ich rausgehen? Darf mein Sohn in die Schule? Muss ich mich testen lassen?“ „Dazu können wir nichts sagen.“
Schon erstaunlich, wenn ausgerechnet eine Corona-Hotline Fragen zu Corona nicht beantworten kann. Nun gut. Ich halte es mal mit meinem alten Latein-Lehrer: „Ihr müsst nicht alles wissen, aber ihr müsst wissen, wo es steht“, hat er immer gesagt. Und das, liebe Stadt Köln, ja zumindest das hätte ich auch von dir und deiner Hotline erwartet. Wenn du schon nicht weißt, was zu tun ist, dann solltest du zumindest jemanden kennen, der es weiß. Also wohin denn nun wenden? Ja, auch dazu konntest du nichts sagen.
Wo sind die Aufklär-Trupps in den großen Straßen? Wo sind die großen Banner über den Einkaufsmeilen?
Ohnehin sagst du in einer Zeit, in der es so viel Redebedarf gibt, erstaunlich wenig. Wo jetzt überall Maskenpflicht ist zum Beispiel – das hast du der Presse erzählt und in dein Amtsblatt geschrieben. Aber mal ehrlich: Würde ich nicht so viel Zeit im Netz und auf Nachrichtenseiten verplempern, stünden die Chancen nicht schlecht, dass ich rein gar nix davon mitbekommen hätte, dass ich nun auch auf der Venloer Straße und in der Altstadt Maske tragen muss. In Geschäften ist das anders. Selbst der letzte Dödel hat begriffen, dass er da „oben ohne“ nicht reinkommt. Und weißt du auch wieso, liebe Stadt Köln? Weil an jedem verdammten Eingang und an jedem noch so popeligen Ladenfenster ein entsprechendes Hinweisschild klebt.
Warum machst du das nicht? Wo sind die Aufklär-Trupps in den großen Straßen? Wo sind die großen Banner über den Einkaufsmeilen? In Holland, ja selbst da, gab es die schon vor Monaten – in Venlo haben sie mir jedes Foto versaut. Schön ist das nicht, aber weißt du, was noch viel unschöner ist, liebe Stadt Köln: Wie du uns hier durch diese Krise namens Corona taumeln lässt und ahnungslos vorangehst.
Und ich dachte: Jetzt ist Schluss mit warmen Worten, jetzt wird auf den Tisch gehauen. Was kam? Nichts.
Du wusstest doch, dass sie kommen würde. Die zweite Welle. Flut, Ebbe, Flut. Das ist jetzt keine höhere Mathematik. Doch es wirkt nicht so, als hättest du die Verschnaufpause genutzt. Du hast uns Pop-up-Biergärten und neue XXL-Terrassen für den Sommer genehmigt. Schön. Danke. Ehrlich. Aber hast du ernsthaft gedacht, damit sei es getan? Irgendwie kann ich dich ja sogar verstehen. Ich hab‘ auch keinen Bock mehr. Mir ist Verdrängen auch lieber als das ewige Bad in einer großen Suppe Selbstmitleid. Nur hilft es ja nun mal alles nichts. Das Coronavirus fragt nicht, ob wir nun genug von ihm haben und verabschiedet sich bei Überdruss höflich. Es fragt nicht, ob es denn gerade passt.
Diesen ungebetenen Gast werden wir nur mit harten Bandagen los. Und ich war mir sicher, genau die fährst du jetzt auf. Vergangenen Freitag dachte ich: Buckle up, folks! Da lag der Inzidenzwert nämlich schon seit Tagen über 100 und du hast deine Leute mal wieder zur Krisensitzung mit anschließender Pressekonferenz zusammengetrommelt. Und ich dachte: Jetzt ist Schluss mit warmen Worten, jetzt wird auf den Tisch gehauen. Was kam? Nichts. Oder genauer gesagt hieß es: „Es ist Fünf vor Zwölf. Es liegt an jedem, ob wir ohne Lockdown auskommen.“ Ahja. Nun das ist am Ende ja dasselbe wie Nichts. Und Nichts, das ist gerade einfach zu wenig.
Vor allem klingt es nicht, als würden wir irgendwann mal rauskommen, raus aus diesem ganzen Schlamassel.
Bestimmt wirst du jetzt fragen, was ich denn vorschlage, wenn ich schon alles besser weiß. Und genau das ist die Sache: Ich weiß es nicht besser. Ich möchte auch nicht tauschen. Denn ich weiß gar nichts. Ich weiß nur: Eine Corona-Hotline, die Corona-Fragen nicht beantworten kann, ein „Fünf vor Zwölf“ um Fünf nach Zwölf, eine verschärfte Maskenpflicht, von der ich nur durch Medien, aber nicht auf der Straße erfahre – das klingt nicht, als wüsstest du, was du da tust. Vor allem klingt es nicht, als würden wir irgendwann mal rauskommen, raus aus diesem ganzen Schlamassel. Es klingt, als würdest du gerade komplett verkacken. So richtig.