Lisas Bettgeschichten: der Jazzfreak mit einseitigen Qualitäten
Eins vorneweg: Lieber wäre es mir, ich könnte Geschichten über mein Liebesleben schreiben. Das gibt es aber leider nicht. Wobei, was heißt „leider“. Ich mache aus der Not eine Tugend und schreibe eine Kolumne über mein Sexleben. Auf der Suche nach grenzenloser Kerzenschein-Romantik bin ich in den vergangenen Monaten sehr umtriebig gewesen, in der Hoffnung, aus einer Liaison ergebe sich endlich mal was Ernstes. So kommt es, dass ich Geschichten voller Absurditäten und mit umso weniger Romantik erzählen kann. Machen wir weiter bei Nummer zwei von – Achtung – 14. Ich muss jetzt schon lachen.
Es ist ein herrlicher Sommersonntag, ich bin beim Geburtstag meines schwulen besten Freundes. Der Sekt fließt in Strömen, später das Bier, und Lisa hat irgendwann gut einen sitzen. Seit einer Woche bin ich bei OKCupid angemeldet – einer App, die vom Prinzip zwar ähnlich, aber doch ein bisschen gehaltvoller ist als Tinder.
So schön angeschwipst habe ich Lust auf ein Date, das würde diesen zauberhaften Sonntag perfekt machen. Ich habe am nächsten Tag frei, worauf also warten? Und tatsächlich: Einer, dessen Fotos ich attraktiv finde, schreibt mir. Zwei mal geht’s kurz hin und her, dann fragt er, was ich abends noch mache.
Hat der mich jetzt einfach sitzen gelassen?
Wir treffen uns am Rathenauplatz, trinken Kioskbier und quatschen. Besser gesagt: Er quatscht, ich höre zu. Jazz. Seine große Leidenschaft. Hätte ich mir irgendwas gemerkt, wäre ich jetzt ein kleines Jazzlexikon. Nur interessierten mich die ganzen Geschichten leider nicht.
Einen Adrenalin-Kick versetzte er mir dann aber doch – nämlich, als er ewig nicht vom Bierholen zurückkam. Hat der mich einfach sitzen lassen? Panik. Dann der beruhigte Blick neben mich: Seine Jacke war noch da. Puh. Man weiß ja nie.
Mir ist bewusst, dass es auf der Suche nach einer Beziehung nicht förderlich ist, sofort mit jemandem ins Bett zu gehen. Aber ich bin auch ein Mensch mit Bedürfnissen.
Da war er wieder, mit einem Piccolo für mich in der Hand. Er hatte sich verquatscht. Was auch sonst? Ich leere die viel zu kleine Flasche und stelle die Frage aller Fragen: „Und was machen wir jetzt?“ Ein tiefer Blick und Sekunden später: der erste Kuss. Ein guter Kuss. So gut, dass ich irgendwann unterbreche: „Soll ich noch mit zu dir kommen?“ „Gerne!“
Mir ist bewusst, dass es auf der Suche nach einer Beziehung nicht unbedingt förderlich ist, sofort mit jemandem ins Bett zu gehen. Aber als potentieller Partner hatte sich David* sowieso schon disqualifiziert. Sein Jazzgefasel war ein Grund. Dass es einfach nicht gefunkt hatte, ein zweiter. Aber ich bin auch ein Mensch mit Bedürfnissen und obwohl ich hier nicht Mr. Right gegenüber saß – küssen konnte dieser Jazzfreak wie ein junger Gott.
Gehst du das erste Mal mit David nach Hause? Dann erwarte nicht zu viel!
Auf dem Weg zu ihm hörte ich mir weitere Jazzgeschichten an. Wir hielten Händchen. Schön fest, was meine Lust auf mehr steigerte. An seiner Haltestelle ausgestiegen, brauchten wir dringend neues Bier. Kein Problem, der Monsieur hatte auf dem Nachhauseweg eine Stammkneipe, in die er auch bei halb geschlossenen Rollläden marschieren durfte.
Direkt hinter uns schlüpften zwei Mädels in die Spelunke. Ich musste aufs Klo. Eine der beiden Damen auch. „Gehst du das erste Mal mit David nach Hause“, fragte sie mich plötzlich. „Ja“, antworte ich verdutzt. „Dann erwarte nicht zu viel!“ Halleluja. War das gerade wirklich passiert?
Ich sprach David darauf an, dem das Ganze natürlich todespeinlich war – schließlich erinnerte er sich nur dunkel an die Frau. Ich fand's urkomisch und ließ mich nicht beirren. Schließlich waren unser Kuss und das Händchenhalten so vielversprechend, dass ich mir sicher war, der Sex würde gut werden. Küssen ist ja die halbe Miete und ich mag Männer, die zupacken wie David. Leidenschaft.
Mein Instinkt hatte mich nicht getäuscht. Zumindest nicht, was David als Liebhaber anging.
Bei ihm angekommen, tranken wir noch ein Bier, bevor es losging. Meine Erinnerungen an das, was folgte, sind leicht verschwommen, aber ich weiß, dass mein Instinkt mich nicht getäuscht hatte. Zumindest nicht, was David als Liebhaber anging. Aber David als Mensch?
Bevor wir Sex hatten, spielte er Zukunftsmusik: „Lass uns zusammen in die Ausstellung XY gehen“, „Hast du diesen Film schon gesehen? Den können wir ja zusammen gucken“ und sogar ein Bolognese-Battle machte er mit mir aus.
Bis irgendwann, sagte ich. Bis bald, sagte er mit Nachdruck.
Am nächsten Morgen duschten wir zusammen, knutschten noch ein bisschen und liefen dann gemeinsam zur Haltestelle. „Bis irgendwann“, sagte ich. „Bis bald!“, sagte er mit Nachdruck. Das war doch schon mal ganz gut und eine Affäre konnte ich mir durchaus mit ihm vorstellen.
Drei Tage später schrieb ich ihm abends, nachdem mir ein anderes OKCupid-Date kurzfristig abgesagt hatte. In meiner Nachricht ließ ich David wissen, dass ich bald verreisen würde. Ich fragte, ob man sich vorher nicht nochmal treffen sollte. Das war im Sommer. Jetzt ist Winter. Auf die Antwort warte ich bis heute.
* Name geändert