Mord ohne Leiche: Hört auf, die Gastro zum Buhmann zu machen!

© Christin Otto

Mordanschlag in Ehrenfeld? Demo? Hochrisikospiel? Ist das nicht alles abgesagt? Was ist hier los? Das Fragenkarussell in meinem Kopf dreht sich. Ich kann mir keinen Reim machen auf das, was da vorm Ehrenfelder Bahnhof passiert. Es ist Freitagabend, Polizeiwagen dicht an dicht, ein Trupp breit gepolsterte Beamt*innen blockiert in der Dunkelheit die Bartholomäus-Schink-Straße. Ich überlege anzuhalten. Ein Polizist wirft mir den „Fahren Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“-Blick zu. Ich biege in die andere Richtung ab. Null Bock auf Stress.

Im Supermarkt ist das Spektakel schon Gesprächsthema. Am Pfandautomaten orakelt ein Kunde lauthals über den Polizeiauflauf. „Die machen jetzt die Glühweinbude dicht“, ruft der Mann, während er seine klirrenden Bierflaschen in den Leergut-Schacht einfädelt. Eine Hundertschaft, um das Bumann-Büdchen dicht zu machen? Wow, denke ich – und lasse kopfschüttelnd ein Netz Orangen in meinen Einkaufswagen fallen.

Ein Mordanschlag. Nur eben ohne Leiche. Das Opfer: die Gastro.

Als ich mir am nächsten Morgen eine Orange pelle und die Nachrichten scanne, zeigt sich: So falsch lag ich nicht. Ein Mordanschlag. Nur eben ohne Leiche. Das Opfer: die Gastro. Die Lokalpresse spricht von „Happening“ und Eskalation. Die Verantwortlichen sind zwischen den Zeilen schnell gefunden: die Läden, die dazu „aufgerufen haben“. Natürlich. Wahrscheinlich sind demnächst auch die Friedhofsgärtner*inen verantwortlich für all die Toten unter ihrem Rasen. Ich bin sauer, meine Orange ist es auch.

Während ich noch überlege, auf wen oder was ich wütender sein soll – die reißerischen Presseberichte, die Willkür der „Staatsgewalt“ oder die Honks, die es immer noch nicht gebacken kriegen, sich an die simpelsten Regeln zu halten, haben andere ihren Ärger schon verwortet. Das Bumann & Sohn schreibt: „DANKE an alle, die sich daran gehalten und damit dazu beigetragen haben, die Glühweinwanderung zu einer für viele willkommenen Abwechslung in dieser tristen Adventszeit zu machen. An alle anderen: Danke für nichts! Trinkt euren Glühwein das nächste Mal lieber zu Hause und riskiert damit nicht den Fortbestand der Kneipen-, Bar- und Clubszene, die für Ehrenfeld und ganz Köln unersetzlich ist. Vielleicht wäre es sinnvoller und zielführender, nicht uns Gastronom*innen zu ‚bestrafen‘, sondern die Leute, die sich nicht an geltende Regeln halten. Neben uns Gatronom*innen würden es euch sicherlich auch die 99% der Leute danken, die sich bisher immer vorbildlich an die Regeln gehalten haben.“ Besser hätte ich es auch nicht sagen können, denke ich.

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Dieser Tage Gastronom*in zu sein – man wünscht es sich nicht. Denn es bedeutet offenbar, nichts richtig machen zu können. Trennwände, Spuckschutz, Desinfektionsmittel, digitale Check-ins und Online-Speisekarten, ja sogar beheizte Sitzkissen für die Drinnen-Phobiker haben sie angeschafft – nur um am Ende doch wieder dicht gemacht zu werden. Und das, während in den Innenstadt-Geschäften der Weihnachtsshopping-Wahnsinn tobt. Aufgeben? Ist nicht! Trotzdem nicht. „Neue Lösungen finden“ lautet das neue Jobprofil vieler Gastronom*innen. Zumindest derer, die ihren Laden irgendwie am Laufen halten wollen.

Also haben die Überlebenswilligen ihre Fenster und Türen in Glühwein-Büdchen verwandelt – und wurden dafür von Tausenden Kölner*innen gefeiert. Weil es eben nicht nur Selbsthilfe ist, sondern vor allem Hoffnungsschimmer für uns alle – in dieser tristen Adventszeit, ohne Weihnachtsmärkte, ohne Konzerte, ohne Weihnachtsfeiern mit Kollegen*innen und Freund*innen.

Natürlich ist es kein Geheimnis, dass es Menschen gibt, bei denen es schon am kleinen Einmaleins scheitert. Da ist jeder Denkzettel verdient – der darf auch gerne ein paar Hundert Euro kosten.

Dass es funktionieren kann, weiß ich aus eigener Erfahrung. Meine Geburtstagsfeier war in diesem Jahr ein Glühwein-Spaziergang durch mein Veedel. Ehrenfeld. Zu zweit, mit meiner besten Freundin. Ein Lichtblick. Coronakonform? Klar – wenn man denn wirklich spaziert, nicht rumsteht, keine Straßen blockiert, Abstand hält, Maske trägt. Ein kleines Einmaleins. Eines, das nach fast einem Jahr Pandemie inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen sein sollte.

Natürlich ist es kein Geheimnis, dass es Menschen gibt, bei denen es schon am kleinen Einmaleins scheitert. Es ist nicht die Mehrheit – aber es sind diejenigen, die auffallen. Sie – und sie allein – machen das Glühwein-Game zum Hochrisikospiel. Da ist jeder Denkzettel verdient – der darf auch gerne ein paar Hundert Euro kosten. Die Gastronom*innen für diese Idiot*innen verantwortlich zu machen, ist jedoch noch idiotischer. Ja, es ist derart absurd, dass man glatt meinen könnte, es sei mal wieder die Gastronomie, an der ein Exempel statuiert werden soll. Oder wie sonst kann es sein, dass die Schildergasse am Black Friday einer menschlichen Sardinenbüchse gleicht, dort aber keine Hundertschaft anrückt, um die Geschäfte dicht zu machen?

Euer „Ich scheiß auf alles, lass mir nix verbieten und feiere trotzdem“ könnt ihr euch spätestens dann sonstwo hinschieben, wenn sämtliche Clubs, Kneipen und Restaurants wegen euch schließen mussten.

Also hört endlich auf damit, die Gastro zum Buhmann zu machen! Und damit meine ich nicht nur die Stadt, die Ordnungskräfte und die Presse. Damit meine ich vor allem diejenigen, die durch ihr verantwortungsloses Verhalten dafür sorgen, dass Polizei-Einsätze und Skandalberichte wie vom Freitagabend überhaupt erst entstehen können. Denn all euer „Ich scheiß auf alles, lass mir nix verbieten und feiere trotzdem“ könnt ihr euch spätestens dann sonstwo hinschieben, wenn sämtliche Clubs, Kneipen und Restaurants wegen euch schließen mussten.

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