Freiheit, jetzt fehlst du mir wirklich: Ein Sommer ohne Festivals

© Krists Luhaers | Unsplash

Meine Augen sind noch geschlossen, aber von draußen dröhnt schon laute Musik. Eigentlich hätte ich noch stundenlang weiterschlafen können, aber die unter dem Zeltdach angestaute Hitze und ein ziemlich starker Harndrang treiben mich raus. Ich schlüpfe also schnell in Jogginghose und FlipFlops und wandele komplett verschlafen durch eine schon halb betrunkene Meute zu einem frisch gereinigten Dixiklo – erstmal anstehen.

Erleichtert kehre ich einige Zeit später zu meinem Camp zurück. Die Ersten sind schon wach, an Schlafen ist also erstmal nicht mehr zu denken. Ob ich ein Bier will? Nee, ich brauch erstmal Premium-Frühstück: Brot mit Marmelade und eine angewärmte Banane, die im Zelt in irgendeiner nicht definierbaren Flüssigkeit lag. Ein Typ mit einem Kanister voller Kaffee auf dem Rücken kommt vorbei und wird zu unserem morgendlichen Superheld. Dann kann ein neuer Festivaltag beginnen. 

Zwischen Campingplatz und Moshpit ist kein Platz für Alltagsstress, kein Platz für Gedanken an die kleinen Probleme zuhause und die großen Probleme der Gesellschaft.

Klingt für einige gar nicht mal so gemütlich, mein perfekter Festivalmorgen – ist für mich aber der Inbegriff von Freiheit. Festivals sind – wahrscheinlich schon seit den 60ern, die ich leider ganz knapp verpasst habe – ein Ort für Menschen, die Freiheit suchen. Zwischen Campingplatz und Moshpit ist kein Platz für Alltagsstress, kein Platz für Gedanken an die kleinen Probleme zuhause und die großen Probleme der Gesellschaft. Alles, was da ist, sind meine Freunde, mein zerknitterter Timetable in der Hosentasche und ein kühles Bier in der Hand.

Ein Zufluchtsort, der sich immer anfühlt wie eine Parallelgesellschaft – vielleicht auch, weil man auf den Festivalgeländen mitten in der Pampa meistens zwanzig Minuten braucht, um eine Instastory zu laden. Dann kann man’s auch gleich lassen und plötzlich in diesem Real Life abhängen und uralte Mixtapes von einem tragbaren CD-Player hören.

Festivals, wir brauchen euch!

Was könnte man in schwierigen Zeiten also mehr brauchen, als so einen utopischen Ort, ohne Regeln, aber voller Spaß? Tja, so ein Festivalsommer wär jetzt schon ganz geil. Und ja, natürlich ist es absolut richtig, gut und nachvollziehbar, dass es ihn dieses Jahr nicht geben wird. Aber ein paar Tränen verdrücken wird man ja wohl trotzdem noch dürfen. Denn als letzte Woche die ganzen Festivals abgesagt wurden, hab ich mich zum ersten Mal richtig unfrei gefühlt. Ganz schön merkwürdig, wenn man bedenkt, dass ich seit Wochen unfreiwillig in meiner Wohnung abhänge und meine Freunde nicht treffe.

Aber wahrscheinlich ist es genau diese Form der Parallelgesellschaft, diese unumstößliche Gewissheit, dass auf Festivals alles gut ist, was ich jetzt eigentlich gebraucht hätte. Auf Wiesen liegen, gute Musik hören, die Seele baumeln lassen – und das Beste: Auf Festivals reden sogar wir Deutsche auf einmal mit fremden Leuten, die wir gar nicht kennen. Einfach so, just for fun. Krass, oder? 

Einfach mal eine Woche nur Dosenravioli vom Gaskocher essen oder das Ganze gleich groß im Garten der Eltern aufziehen, mit ein paar Zelten und den besten Konzertmitschnitten der letzten 20 Jahre.

Dieses Jahr aber bleiben die Festivaltickets ungenutzt und auch an meinem Handgelenk wird nicht der altbekannte Bräunungsstreifen dank Festivalbändchen entstehen. Vielleicht muss ich mir dieses Jahr einfach ein bisschen Festival-Spirit in mein Nicht-Festival-Leben holen. Einfach mal eine Woche nur Dosenravioli vom Gaskocher essen oder das Ganze gleich groß im Garten der Eltern aufziehen, mit ein paar Zelten und den besten Konzertmitschnitten der letzten 20 Jahre. Also, falls ich meine Eltern bald wieder besuchen kann. Mit Mundschutz. Und Sicherheitsabstand.

Meine aufgestauten Vorfreude werde ich auf jeden Fall irgendwie katalysieren müssen. Aber wer weiß, so kreative Ideen, wie es in den letzten Wochen schon gab, kaufe ich mir vielleicht bald ein Ticket für ein digitales Festival mit Camping daheim. Eins steht fest:  Die Festival-Saison 2021 wird auf jeden Fall krass, wenn sich bei allen doppelte Festival-Sehnsucht entlädt. Und uns hoffentlich diesmal keine Fledermaus am anderen Ende der Welt einen Strich durch die Rechnung macht.

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