Wer am 11.11. feiern geht, hat gar nichts verstanden

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Hätte man den Kölner*innen vor ein paar Jahren erzählt, dass eine Kölner Oberbürgermeisterin mal behaupten würde, der 11.11. sei ein Tag wie jeder andere – sie hätten es nicht geglaubt. Schließlich ist der Karneval hier Heiligtum – und jedes Stadtoberhaupt, das etwas anderes behauptet, hätte man wegen Majestätsbeleidigung aus dem Amt gejagt. Bis 2020 kam und das Undenkbare geschah. „Diesmal gibt es keinen 11.11. Er ist in diesem Jahr nur ein Tag im Kalender wie jeder andere auch. Bleibt bitte alle zu Hause“, verkündete Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor ein paar Wochen.

Karneval ist abgesagt. Zumindest so, wie wir ihn kennen. Die Corona-Pandemie hat alles auf den Kopf gestellt – und das so ganz anders als es d’r Fastelovend normalerweise tut. Jetzt geht es nicht um geselliges Schunkeln, bunte Kostüme und jecke Partys – jetzt geht es um Menschenleben. Und die haben nun mal Vorrang. Da ist nicht nur das Festkomitee d’accord: Gastronom*innen auf der Zülpicher haben schon vor Wochen beschlossen, am 11.11. freiwillig dicht zu machen, während Kölner Promis und Influencer*innen unter dem Hashtag #diesmalnicht dafür werben, das gemeinsame Feiern diesmal sein zu lassen.

Kaum ein Posting, unter dem sich nicht irgendwelche Dödel wie trotzige Kleinkinder verbal in den Dreck werfen – frei nach dem Motto: Wer uns das Feiern verbieten will, muss ja wohl brainwashed sein.

Eigentlich ist es fast schon absurd, dass derlei Appelle überhaupt nötig sind. Denn für die Einsicht, dass Partys mitten in einer weltweiten Pandemie und bei Inzidenzwerten um die 200 eine denkbar schlechte Idee sind, sollte gesunder Menschenverstand eigentlich reichen. Denn man mag ja in alle möglichen Kostüme schlüpfen wollen, aber doch nicht in das des Superspreaders. Sollte man meinen. Doch der Blick in die Kommentarspalten macht mitunter ratlos. Kaum ein Posting, unter dem sich nicht irgendwelche Dödel wie trotzige Kleinkinder verbal in den Dreck werfen – frei nach dem Motto: Wer uns das Feiern verbieten will, muss ja wohl brainwashed sein.

Stellt sich nur die Frage an die Unbelehrbaren: Was genau wollt ihr denn da feiern? Der Karneval jedenfalls kann es nicht sein. Denn der dreht sich nicht um Eskalation, da geht es ums Zesammestonn – „denn he hält m'r zosamme, ejal, wat och passeet“. Und „Mer stonn zesamme“ – das bedeutet in diesem Jahr nun mal, gemeinsam zu verzichten. Zum Wohle aller.

Wem am 11.11. nichts Besseres einfällt, als in die Stadt zum Feiern zu stürmen oder sich eine Horde Freund*innen zur Haus-Party einzuladen, der hat Köln und den Karneval nicht verstanden.

Der Verzicht mag im ersten Moment schmerzhaft sein, doch wenn wir mal ehrlich sind: Das Opfer, das wir bringen, ist vergleichsweise gering. Denn was ist schon eine gecancelte Session im Vergleich zu Menschenleben? Was ist eine Session schon im Vergleich zu all den Existenzen von Gastronom*innen, Veranstalter*innen und Kulturschaffenden, die den Bach runter gehen, wenn wir nicht den Weg zurück in die Normalität finden? Und Normalität – die gibt es nun mal erst, wenn das Virus einigermaßen unter Kontrolle ist.

Bis dahin braucht es einfach etwas Kreativität – und wenn die Kölner*innen etwas können, dann ja wohl das. Sich zu Hause mit den Kindern verkleiden, mit den Freunden beim Zoom-Meeting kölsche Lieder singen und ein paar Kölsch köpfen, sich auf YouTube alte Karnevalssitzungen anschauen, mit der Pappnas im Gesicht dem Nachbarn vom Balkon aus zuwinken – gegen all das ist rein gar nichts einzuwenden. Denn der Karneval mag abgesagt sein, doch das kölsche Lebensgefühl ist es nicht. Wem am 11.11. allerdings nichts Besseres einfällt, als in die Stadt zum Feiern zu stürmen oder sich eine Horde Freund*innen zur Haus-Party einzuladen, der verpasst nicht nur allen, die gerade um ihre Existenz bangen, einen Schlag ins Gesicht – der hat auch Köln und den Karneval nicht verstanden.

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