Wolfgang Schiffbauer Köln hakt nach: Warum wurde Fußball-Europameister Toni Schumacher einst in der Halbzeitpause entlassen?
"Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!" Sesamstraßen-Fans haben diese Lebensweisheit längst verinnerlicht. Trotzdem traut man sich bei der ein oder anderen Frage nicht, sie zu stellen. Weil sie zu banal erscheint – oder man schlichtweg nicht weiß, wer die Antwort kennen könnte. Hier kommen wir ins Spiel, denn wir haken für euch nach. Schließlich begegnen uns in Köln immer wieder kuriose Dinge, die uns staunend oder fragend zurücklassen. Geht euch genauso? Dann schickt uns eure Fragen – wir beantworten sie oder suchen schlaue Menschen, die das können.
Der "Schäng" und der "Tünn": Wie kam es zum legendärsten Rauswurf der Bundesliga-Geschichte?
Europameister in Italien 1980. Zweimal Vize-Weltmeister. Mit dem 1. FC Köln dreimal DFB-Pokal-Sieger und einmal Deutscher Meister. Sechsmal Deutschlands Torwart des Jahres. Die Liste der Erfolge von Harald Anton, genannt Toni oder zu Kölsch "Tünn", Schumacher ist lang. Zweifellos gehört der in Düren geborene "Tünn" zu den besten Torhütern der deutschen Fußball-Geschichte – und dazu ist er eine echte kölsche Ikone: Von 1974 bis 1987 war er Stammtorwart und von 2012 bis 2019 sogar Vizepräsident beim FC.
Nach seiner aktiven Laufbahn versuchte sich der "Tünn" zunächst als Torwart-Trainer, unter anderem bei Bayern München und Borussia Dortmund. Im Jahr 1998 kehrte er nach Köln zurück – als Cheftrainer des Südstadt-Klubs Fortuna Köln. Eingestellt vom "Paten" der Fortuna, der kölschen Legende Jean Löring, der in der Südstadt nur "Schäng" gerufen wurde.
Löring hatte sich in Köln als Unternehmer und Präsident der Fortuna einen Namen gemacht. Von 1966 bis 2001 stand er an der Spitze des Vereins, dem mit Löring 1973 sogar der Aufstieg in die Bundesliga gelang. Die Fortuna war Lörings Lebenswerk. Kaum ein Funktionär im Profifußball hat so viel Herzblut in einen Verein investiert wie der "Schäng" in den Klub aus der Südstadt. Die Liste der Anekdoten über seine Zeit als Fortuna-Präsident ist schier endlos. Eine davon ist bis heute legendär und einzigartig in der Geschichte des deutschen Fußballs.
Ein Mittwochabend im Südstadion
Es ist der 15. Dezember 1999. Ein kalter Mittwochabend im Südstadion. Die Fortuna ist damals in der 2. Bundesliga, Fußball-Legende Toni Schumacher steht als Trainer an der Seitenlinie. Die Saison läuft nicht nach Plan, man steht auf einem Abstiegsplatz. Gegen Aufsteiger Waldhof Mannheim muss ein Sieg her – doch nach gerade einmal 28 Minuten liegt die Fortuna bereits mit 0:2 zurück. Jean Löring ist außer sich vor Wut, als er nach dem Halbzeitpfiff in die Kabinen stürmt. Auf dem Weg spricht er mit einigen Ordnern, fragt nach deren Meinung. Und die ist einstimmig: "Der Tünn muss weg!"
Die nächsten Minuten gehen in die Fußball-Geschichte ein, denn Löring entlässt seinen Trainer vor den Augen der verdutzten Mannschaft noch in der Halbzeitpause. Nicht etwa nach dem Spiel, wie es im Fußball üblich ist und wie es die befragten Ordner sicher gemeint haben, sondern in dieser kurzen 15-minütigen Pause zwischen den beiden Spielhälften. Die überlieferten Worte von Löring an Schumacher: "Hau ab in die Eifel. Du määs minge Verein kapott. Du häss hee jar nix mie zu sare!"
Hau ab in die Eifel. Du määs minge Verein kapott. Du häss hee jar nix mie zu sare!Jean "Schäng" Löring
Der damalige Fortuna-Stürmer Toralf Konetzke sagte später in einem Interview mit der Bild-Zeitung: "Plötzlich geht die Tür auf und der 'Schäng' kommt die Treppe runter. Das war wie im Film. Er meinte zu Toni: 'Du sagst jetzt nichts mehr.' Und schubste ihn zur Tür raus." Beinah kam es sogar zu einem Handgemenge zwischen Trainer und Präsidenten, doch die Streithähne wurden von den Spielern und Betreuern getrennt. Die jüngeren Spieler haben "ungehemmt geweint. Es waren Tränen des Entsetzens, der Wut, der Enttäuschung", schrieb Schumacher Jahre später in seinem Buch "Einwurf".
Der "Schäng" als Interimstrainer
Die Entlassung in der Halbzeitpause: Für Toni Schumacher ein Schock – aber die Entscheidung vom "Schäng" war unumstößlich. Der einstige Weltklasse-Torwart ließ sich von seiner Frau Jasmin im Auto abholen und auf direktem Weg nach Hause fahren. Und weil sein Co-Trainer dem "Tünn" treu geblieben ist und freiwillig die Kabine verlassen hat, setzte sich Löring kurzerhand selbst auf die Bank und sprang als Interimstrainer ein. Zum fünften Mal in seiner langen Präsidentschaft. Geholfen hat es nicht, die verunsicherte Fortuna hat das Spiel letztendlich mit 1:5 verloren und ist am Ende der Saison aus der 2. Bundesliga abgestiegen.
Ich als Verein musste reagieren!Jean "Schäng" Löring
Seine Entscheidung begründete Löring auf der anschließenden Pressekonferenz in seiner unnachahmlichen Manier mit klaren Worten: "Ich als Verein musste reagieren!" Und: "Das ist die teuerste und schlechteste Fortuna-Mannschaft seit Christi Geburt. Ich kann meinen Klub nicht zu Grabe tragen lassen."
Toni Schumacher hat Löring, der 2005 im Alter von 70 Jahren verstarb, seinen Rauswurf übrigens längst verziehen. "Für mich persönlich war und ist Jean Löring trotzdem ein großer, herzensguter Kölner", sagte er in einem Interview mit dem Kölner Express. "Denn unabhängig von jener unseligen Episode war Löring ein Mensch, der vielen geholfen hat. Hunderte Kinder holte er mit seiner Fortuna von der Straße, gab ihnen eine Heimat. Die Jugendarbeit des Vereins war vorbildlich, Integration wurde in der Südstadt von jeher großgeschrieben. Ich habe großen Respekt vor seiner sozialen Leistung."
