Jecker Freudentaumel oder absoluter Irrsinn: Sollen wir dieses Jahr Karneval feiern?

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Wer in den letzten Tagen mit seinen Liebsten die frohe Botschaft des nahenden Karnevals geteilt hat, hat vermutlich genauso wie ich nur eins gesehen: große, ungläubige Augen. Zuckende Mundwinkel, ein „Kann das wirklich sein?“. Schon stellt sich dieses Kribbeln im Bauchbereich ein, irgendwo im imaginären Kopfkino wird der erste Kasalla-Song angestimmt und vor dem inneren Auge durchsuchen wir schon den Kleiderschrank nach möglichen Last-Minute-Kostümen. Erschöpfte, jecke Herzen, die auf einmal ein Licht am Ende des Tunnels sehen.

Die Hand streckt sich quasi wie von selbst nach dem ersten frischgezapften Kölsch aus – wäre da nicht auch noch dieses komische Gefühl in der Magengrube. Die Erinnerung an zwei Jahre voller Corona-Tests, Schutzmasken, Quarantänezeiten, Ängste und Sorgen. Der Gedanke an abgesagte Urlaube und Verabredungen, Stunden des Spazierens und Abstandhaltens und nicht zuletzt die Bilder von Krankheit, Trauer und Tod.

Karneval, du und ich – ist das wirklich eine gute Idee? 

„Absoluter Irrsinn“, rufen schon die einen, „wir brauchen endlich wieder Normalität“, rufen die anderen. Und ich? Ich bin letztes Wochenende beim Spazieren zufällig an den Karnevalskonzerten im Jugendpark vorbeigekommen und hatte, als ich die Kölschen Töne aus einiger Entfernung durch den Park hallen hörte, plötzlich ein paar Tränchen in den Augen. 

Es ist schließlich nicht „nur“ der Karneval, den wir so schmerzlich vermisst haben. Es ist auch die Zeit, in der wir ausgelassen und sorgenfrei mit unseren Liebsten feiern können. Die Zeit, in der wir wie in keiner anderen merken, wieso wir unser Kölle so lieben. Eine Zeit, in der wir gemeinsam schunkeln und singen, in der wir uns nicht streiten und verurteilen, sondern in der mehr denn je gilt: Jede Jeck is anders.

Das hat gefehlt – verständlicherweise. Schließlich konnten wir in den letzten zwei Jahren nicht so ausgelassen und frei sein, wie wir gerne wollten. Wir haben im letzten Jahr wahrscheinlich mehr Tests gemacht, als das Jahr Tage hatte, immer wieder auf das verzichtet, was uns glücklich macht, aus Vernunft und Mitgefühl.

Die Frage, ob wir dieses Jahr auch wirklich das Angebot annehmen und feiern sollten, lässt sich so beantworten: Ja – und nein.

Und jetzt? Jetzt stehen wir hier, zwei Jahre später und dieses Virus kursiert immer noch. Auch jetzt gibt es noch Risikopatient*innen und schwere Verläufe, auch jetzt ist Corona immer noch kein Zuckerschlecken. Was hat sich geändert? Dürfen wir jetzt auf einmal Karneval feiern? Aus rein rechtlicher Sicht ist diese Frage längst beantwortet: Ja, wir dürfen, zumindest teilweise. Aber darum geht es gar nicht: Schließlich sollten wir uns auch untereinander wieder einig sein, jetzt zur fünften Jahreszeit mehr denn je.

Fiere und fiere losse

Das Motto der diesjährigen Session ist „Alles hät sing Zick“. Wie passend – schließlich ist für die einen Kölner*innen die Zeit des Feierns gekommen, während die anderen lieber noch ein Jährchen warten. Die ganz persönliche Frage, ob wir dieses Jahr auch wirklich das Angebot annehmen und feiern sollten, lässt sich deshalb so beantworten: Ja (für die einen) – und nein (für die anderen).

Vielleicht behalten wir deshalb noch ein zweites, ganz eigenes Karnevalsmotto im Kopf: „Fiere und fiere losse“. Keine Diskussionen über ein „unverantwortliches“ Verhalten der anderen, keine Vorwürfe an diejenigen, die die Feierei mit kritischen Augen sehen. Stattdessen mehr Verständnis auf beiden Seiten – und Feiernde, die getestet und verantwortungsvoll mit ihren Privilegien umgehen und nach der wilden Feierei vielleicht ein bisschen genauer überlegen, mit wem sie sich treffen.

Am 11.11. hat das nicht sonderlich gut geklappt – da wurden volle Straßen zu Schockbildern, obwohl in der halben Nation zur gleichen Zeit Großveranstaltungen erlaubt waren. Lasst uns das dieses Jahr besser machen: Ob in der vollen Kneipe oder beim Frühstück im kleinsten Kreis, bei der ausgebuchten Karnevalssitzung oder doch allein zu Hause mit der Pappnas im Gesicht – alles hät sing Zick. Lasst uns fiere – oder eben nicht.

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