Dein "Kompliment" kannst du dir sparen!

In ihrer Kolumne "Köln, was geht?" schreibt Tessniem über das, was ihr in ihrer Wahlheimat Köln begegnet, was sie bewegt, zum Lachen, aber vielleicht auch zum Weinen oder Nachdenken bringt. Hier am Rhein fühlt sich die gebürtige Pott-Deutsche angekommen, denn sie hat sich in die "Köllefornia Vibes" verliebt. Ihr habt Rückmeldungen, Fragen, Feedback oder Liebesbriefe für Tessniem? Dann schreibt ihr einfach!

Es ist Sommer und das bedeutet an vielen Tagen: It’s getting hot in here! "So take off all your clothes"? Manchmal würde ich gerne auf Nelly hören. An so einem befreienden Striptease hindert mich aber – neben dem tadelnden Blick meiner Mutter – vor allem die männliche Bevölkerung in Köln. Da reicht es nämlich schon, wenn ich als Frau Shorts oder ein kurzes Kleid trage. Dann merke ich schnell: Catcalling, übergriffiges Verhalten und Slut-Shaming is still a thing – und das in 2023!

Wie kann es sein, dass mir eine Freundin wie selbstverständlich erzählt, dass sie ganze Straßen in Köln meidet, weil sie keinen Bock auf die Pfiffe und Blicke von Männern hat? Dafür nimmt sie regelmäßig einen Umweg in Kauf.

Auch ich kenne diese Situationen: Ich hetze genervt über die Venloer Straße und werde auf dem Weg von zwei Männergruppen im Alter meines Vaters penetrant angestarrt, ein Auto hupt mich an und irgendein pseudo-cooler Teenie kommentiert meine Brüste mit einem "Geil!".

Ich werde angestarrt, angehupt und ein Teenie kommentiert meine Brüste.

Obwohl ich meist versuche, dieses unverschämte Verhalten zu ignorieren, beeinflusst es mich, meine Freundinnen und sicherlich auch andere betroffene Frauen doch. Ich selbst habe mich schon oft dabei ertappt, wie ich vorm Spiegel stand und mich nicht gefragt habe "Fühle ich mich wohl?", sondern "Fühle ich mich mental bereit für dieses Outfit?". Weil ich nun mal nicht jeden Tag die Kraft habe, mich mit sexistischer Kack-Scheiße auseinanderzusetzen. Und manchmal greife ich dann eben doch lieber zur Jeans, obwohl ich mehr Bock auf das knappe Sommer-Kleidchen hätte.

Für mich ist es jedes Mal ein Zwiespalt – zwischen der selbstbewussten Feministin und der genervten Realistin. Die Feministin in mir denkt: Wenn du dich in diesem Kleid eigentlich wohlfühlst, sollte kein dahergelaufener Typ der Grund dafür sein, dass du es nicht anziehst! Doch dann fragt die Realistin in mir, wer dieses Outfit noch schön finden könnte – so schön, dass diese Person mir auf der Straße etwas zuruft, alle mich anstarren und niemand etwas dazu sagt. Oder noch schlimmer: Was, wenn ein Mann sich fälschlicherweise dazu eingeladen fühlt, noch weiter zu gehen?

Wegen solcher Ängste packe ich mittlerweile selbst an Tagen, an denen ich mich doch für die Shorts oder das kurze Kleid entscheide, noch einen Pullover ein, den ich auf dem Heimweg überziehen kann. Damit bin ich nicht alleine: Das "Subway Shirt" ist ein erschreckender Trend, der zeigt, wie viele Frauen sich nicht sicher fühlen.

Als ob wir bösen, aufreizenden Frauen uns verhüllen müssten, um die armen Männer vor ihrer Übergriffigkeit zu bewahren.

Frauen, die sich mit weiten Klamotten vor den Kommentaren und Blicken in der Öffentlichkeit schützen? Eigentlich hasse ich alles daran. Weil es ein klarer Fall von Täter-Opfer-Umkehr ist. Als ob wir bösen, aufreizenden Frauen uns verhüllen müssten, um die armen Männer vor ihrer Übergriffigkeit zu bewahren. Uff.

Doch die Realität sorgt dafür, dass ich trotzdem regelmäßig zu ebendiesem "Subway Shirt" greife – vor allem wenn ich weiß, dass ich nachts alleine nach Hause muss. Dass ich mich als Frau so fühle und schützen muss, ist aber weder zeitgemäß, noch passt es zu der modernen und vielfältigen Stadt, die Köln eigentlich sein will und sollte.

Liebe Männer: Do better! Liebe Frauen: Keep shining!

Deswegen lautet mein Appell an euch Männer da draußen: Do better! Wenn ihr Situationen mitbekommt, in denen Frauen mal wieder blöd angemacht werden – oder sogar mehr als das –, dann sagt etwas! Und redet mit euren Kumpels über solche Themen! Denn etwas mehr als ein erstauntes "Krass, sowas erlebst du als Frau wirklich?" wäre wünschenswert.

Und an euch Frauen: Bitte, bitte zieht an, worauf ihr Bock habt – und ja, "take off all your clothes", wenn ihr mögt. Hiermit seid ihr zumindest verbal gewappnet. Also: Keep shining ladies!

GaLiGrü aus Köllefornia, eure Tessniem!

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