Ihr habt doch einen Knall: Warum das neue Jahr mit dem ganzen Geböller schon schlecht anfängt

© Carlos Domínguez | Unsplash

Am 31. Dezember ist alles vorbei. Und dann wird alles anders, besser versteht sich. Silvester, ein neues Jahr, ein neuer Anfang, Halleluja! Zuvor ertränken wir noch schnell die schlechten Erinnerungen der vorangegangenen 365 Tage in Käse. Am besten in Raclette-Pfännchen und Fondue-Töpfen. Um ganz sicher zu gehen, dass nichts hängen bleibt, kippen wir eine ordentliche Ladung Alkohol hinterher. Frohes Neues!

Am Ende sieht das „jetzt wird alles besser“ eben doch immer gleich aus. Klar, das Setting mag variieren. Am Anfang sind es noch WG-Party und Gin Tonic, später vielleicht Almhütte und Prosecco und irgendwann nur noch Couch und Saftschorle – denn Mama stillt ja noch. Punkt Mitternacht ist dann wieder alles gleich: Dann geht es ab vor die Tür oder zumindest ans Fenster – vorausgesetzt man wurde nicht vorzeitig von Müdigkeit, Alkohol oder beidem niedergestreckt – zum Feuerwerkgucken.

Bei dem, was sich da an Silvester abspielt, bete ich eigentlich nur, nicht von hochexplosiven Wurfgeschossen getroffen zu werden.

„Schön“ denkt man dann – nach den sechs Gin Tonic und der Gefühlsduselei über das vergangene Jahr. Dabei ist all das, ganz nüchtern betrachtet, natürlich der absolute Wahnsinn. Im wahrsten Sinne. Menschen jagen Hunderte Euro in die Luft. Manch einer stand für „Flash Bang“, „Kanonenschlag“ und „Kracher Inferno“ schon Tage zuvor Schlange beim Böllerverkauf. Dann: Kriegsähnliche Zustände in den Straßen. Überall qualmt, raucht, brennt und knallt es.

Mir war dieses ganze Spektakel schon immer ein Rätsel. Klar, ein bisschen buntes Bling Bling am Himmel finde auch ich ganz nett. Aber bei dem, was sich da an Silvester abspielt, bete ich eigentlich jedes Mal nur, nicht von irgendwelchen hochexplosiven Wurfgeschossen getroffen zu werden. Denn eigentlich wollte man das neue Jahr ja schon mit zwei gesunden Augen und allen Gliedmaßen starten. Stattdessen beginnt es: mit der Bedrohung von Leib und Leben.

Mit dem alljährlichen Silvesterfeuerwerk werden rund 5000 Tonnen Feinstaub freigesetzt.

Das lässt einen vermuten, dass sich vielerorts eben nicht nur das alte Jahr, sondern auch der gesunde Menschenverstand in Rauch- und Nebelschwaden auflöst. Und das sind verdammt teure Rauchwolken. Rund 137 Millionen Euro jagen die Deutschen jährlich an Silvester in Form von Pyrotechnik in Luft. Von den Kosten, die entstehen, weil irgendjemand den ganzen Dreck ja auch wieder wegmachen muss, mal ganz zu schweigen.

Von all dem Geld könnte man wahrscheinlich gleich mehrere Südseeinseln kaufen – oder noch besser: einfach mal was Gutes tun. Das tut man nämlich ganz automatisch, wenn man auf Raketen und all die anderen Knallkörper verzichtet. Nicht nur, weil man dann zahlreichen Hunden und anderen Tieren den Schock ihres Lebens erspart, sondern auch, weil man sich nicht an der Dreckschleuder des Jahres beteiligt.  Mit dem alljährlichen Silvesterfeuerwerk werden nämlich allein hierzulande innerhalb weniger Stunden rund 5000 Tonnen Feinstaub freigesetzt – das entspricht 17 Prozent der jährlich im Straßenverkehr entstehenden Feinstaubmenge.

Wer nicht darauf achtet, dass die Böller aus Deutschland oder der EU kommen, der fördert Kinderarbeit und menschenunwürdige Zustände.

Mehr noch: Mit dem Silvestergeballer legt man nicht nur sich selbst und seiner Umwelt eine richtige Stinkbombe ins Nest. Wer nicht darauf achtet, dass die Böller aus Deutschland oder der EU kommen, der fördert Kinderarbeit und menschenunwürdige Zustände.

In Indien zum Beispiel, einem der weltweit größten Produzenten von Feuerwerkskörpern, sind es nämlich insbesondere Frauen und Kinder, die unsere Böller in mühevoller Handarbeit zusammenbasteln. Dabei hantieren sie mit gefährlichen Chemikalien – in der Folge erkranken viele von ihnen an Asthma oder Tuberkulose. Auch Todesfälle gibt es wegen der fehlenden Sicherheitsvorkehrungen immer wieder.

Umweltverbände haben den Vorschlag längst gebracht: Zentrale Feuerwerke, gemacht von Profis.

Ist das wirklich, wie wir ins neue Jahr starten wollen – um viele Euro ärmer, aber um ein weiteres Stück Verantwortungslosigkeit reicher? Sieht so der Neubeginn aus, von dem alle reden? Wenn ja, dann ist es kein guter. Dabei könnte dieses „alles besser“ so einfach sein. Umweltverbände haben den Vorschlag längst gebracht – und das ganz ohne demagogisches „Jetzt ist Schluss mit lustig“: Zentrale Feuerwerke, gemacht von Profis.

Und wer es nach den sechs Gin Tonic nicht mehr zum Zentralfeuerwerk schafft, der macht sich zuhause eben ein paar Wunderkerzen an und trommelt auf Töpfen rum. Laut, bunt und fröhlich – das geht an Karneval und bei den Kölner Lichtern ja auch, ohne dass die Stadt unter einer großen Nebelglocke verschwindet. Wer trotzdem meint, er muss unbedingt selbst Pyrotechniker spielen, der hat – wenn ihr mich fragt – einfach nur einen mächtigen Knall.

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