Wenn ihr es ruhig wollt, dann zieht doch auf’s Land!
Bella Vita – angeblich können das ja fast alle, nur eben die Deutschen nicht. Denn während die Italiener*innen in den Straßen nach Feierabend dem Aperitivo frönen, die Spanier*innen zur Tapas-Nacht ausströmen und die Belgier*innen in hübschen Straßen-Cafés sitzen, um Fruchtbiere oder einen guten Wein zu trinken, sucht man derlei Ausgelassenheit hierzulande oft vergeblich.
Umso schöner, dass die Kölner*innen es geschafft haben, sich ein Stück Dolce Vita in die Stadt zu holen. Denn auch wir haben sie – diese Plätze, an denen Menschen sich nach Feierabend treffen, ein Bierchen trinken, quatschen und die Sonne genießen. Urlaub zu Hause. Wunderbar. Sollte man zumindest meinen. Dass das aber längst nicht alle so wunderbar finden, zeigt sich am Brüsseler Platz – das wohl berühmteste Beispiel für Orte, an denen Köln mehr temperamentvoller Süden als unterkühlter Norden ist.
Vor der eigenen Haustür sollen dann bitte doch wieder andere Regeln gelten.
Einigen Anwohner*innen verschafft genau das nämlich ordentlich Druck in der Pulsschlagader. Schon seit Jahren prozessieren sie vor Gericht gegen den „unerträglichen Lärm“. Ihr erster Erfolg: Seit geraumer Zeit erinnert uns das Ordnungsamt spätestens um 22 Uhr daran, dass wir hier nun mal nicht in Italien, sondern immer noch im spröden Deutschland sind. Im Anschluss fährt die AWB mit ihren Putzfahrzeugen vor und macht klar: Jetzt muss auch der letzte Dreck weg vom Platz!
Auch mein Bella-Italia-Gefühl wurde so schon jäh weggefegt. Denn in diesem Moment zeigt sich: Auch wenn manch Deutsche*r ganz beseelt aus dem Sommerurlaub zurückkehrt, seinen Freund*innen vom Dolce Vita ein bis zwei Ländergrenzen weiter erzählt und über das Spießbürgertum in der Heimat lästert, so sollen vor der eigenen Haustür dann bitte doch wieder andere Regeln gelten. Also packe auch ich wie eine brave spießbürgerliche Deutsche meine Sachen, übergebe mein Leergut den Flaschensammler*innen am Brüsseler und radle nach Hause – oder lasse den Abend anderswo ausklingen. Wie die meisten am Platz eben. Das kann man nervig finden – oder eben als Kompromiss mit den Anwohner*innen akzeptieren.
Selbst der*die alteingessenste Kölner*in hat kein Recht darauf, dass die Stadt auf immer und ewig so bleibt, wie sie einmal war.
Blöd nur, dass das einigen Anwohner*innen immer noch nicht genug ist. Weil sie es immer noch zu laut finden. Also haben sie erneut geklagt. Beweisführung per Dezibelzahl. Und: Das Kölner Verwaltungsgericht hat ihnen Recht gegeben. Für die Stadt bedeutet das nun: Sie muss sich etwas einfallen lassen. So richtig. Stellt sich nur die Frage: Wie soll das aussehen? Zäunen wir den Brüsseler Platz demnächst ein und riegeln ihn Punkt 22 Uhr ab? Und wem gehört eigentlich die Stadt? Haben Anwohner*innen wirklich das Recht, einem so beliebten Treffpunkt den Gar auszumachen? Wer ins Belgische Viertel zieht, weiß doch, worauf er*sie sich einlässt.
Ältere Anwohner*innen werden nun einwenden, dass es am Brüsseler Platz längst nicht immer so zuging. Nur hat nun mal selbst der*die alteingessenste Kölner*in kein Recht darauf, dass die Stadt auf immer und ewig so bleibt, wie sie einmal war. Erst recht nicht, wenn man mitten in der Innenstadt wohnt. Natürlich gibt es Grenzen. Keine*r will, dass wild pöbelnde Menschenmassen ganze Plätze in Mülldeponien verwandeln. Nur kann davon am Brüsseler Platz nun mal auch keine Rede sein. Hier pulsiert einfach nur das Leben – und das ist auch gut so. Das macht eine Stadt schließlich erst zu einer Stadt, in der man gerne lebt. Wir sollten stolz darauf sein, dass Köln nicht zu jenen Metropolen gehört, deren Innenstädte nachts komplett ausgestorben sind – weil hier längst nur noch Bürogebäude stehen und Anwohner*innen sich nur noch die Mieten am äußersten Stadtrand leisten können. Wir sollten dankbar sein für dieses bisschen Dolce Vita, das auch durch unsere Straßen weht – für das Lebensgefühl, das Köln den Titel als „nördlichste Stadt Italiens“ eingebracht hat. Wem das nicht passt, der sollte besser auf’s Land ziehen.