Bye Bye Instagram? Ein Jahr ohne Likes, Klicks und Follower

© Lisa Fotios | Pexels

Es ist Mai 2019. Psalm West ist vor einer Woche geboren. Psalm ist das vierte Kind von Kim Kardashian und Kanye West und es gibt auch schon ein Foto von ihm. Vielen Leuten ist das bestimmt egal, mir – als eingeschworenem Kardashian-Fan– aber schießt nur eins durch den Kopf: Wie konnte ich erst so spät davon erfahren? Der Grund liegt auf der Hand: Instagram.

Seit Januar habe ich keinen Insta-Account mehr und nun – nach 5 Monaten – stellt sich zum ersten Mal das fiese Gefühl ein, etwas verpasst zu haben. Normalerweise gehe ich auf zahlreichen Promi-Seiten meinem guilty pleasure nach. Aber so schnell, wie Kim K. das Foto hochgeladen hat, tippt keine VIP-Redakteurin. Ich fühle mich ausgeschlossen. Und vermisse Instagram. Warum mache ich das eigentlich?

Die Sogwirkung der App, nach der man sich fragt: was habe ich mir eigentlich eben angeschaut?

So entspannt meine Haltung gegenüber Smartphones im Allgemeinen ist, so sehr werde ich zum Digital-Detox-Monster, wenn es um Instagram geht. Das ständige Bewerten und bewertet werden. Der pausenlose Vergleich mit anderen. Die Sogwirkung der App, nach der man sich fragt: was habe ich mir eigentlich eben angeschaut?

Das alles ist Grund genug, Instagram kritisch gegenüberzustehen, aber nicht Grund genug, sich für ein Jahr von der App zu verabschieden. Nein, der ausschlaggebende Punkt ist: Einfluss. Und zwar zu viel davon. Das klingt überladen, aber es gibt kein besseres Wort dafür.

Das Outfit von Caro Daur? Interessanter als unser Gespräch. Das Selfie von Kylie? Spannender als deine Büro-Geschichten.

Letztes Jahr im Dezember fiel mir auf, wie viele Gespräche sich um Instagram drehten: „Hast du schon die Story von Mia gesehen? Total unnötig!“ oder „Anna folgt Jonas noch, aber mir nicht. Was denkst du, kann sie mich nicht leiden?“. Oft blieb es nicht bei zwei Sätzen, sondern wurde zum abendfüllenden Thema. Wie kann eine App so sehr die Unterhaltung bestimmen? Ich war zunehmend genervt. Von meinen Freunden und mir selbst.

Mich störte aber nicht nur der Einfluss von Instagram auf den Gesprächsinhalt, sondern auch auf die Gespräche an sich. Plötzlich sehnte ich mich danach, nie wieder jemanden inmitten einer Unterhaltung dabei zu ertappen, wie er gedankenverloren mit streichenden Bewegungen über seinen Bildschirm fährt: das Outfit von Caro Daur? Interessanter als unser Gespräch. Das Selfie von Kylie? Spannender als deine Büro-Geschichten. Oh, Emma in der Provence? Alles wichtiger, als das Hier und Jetzt.

Tja, theoretisch hätte ich in den 45 Minuten, die ich früher täglich auf Instagram verbracht habe, eine Fremdsprache oder ein Instrument lernen können.

Ankommende WhatsApp-Nachrichten und Anrufe sind ein anderes Thema. Sie können zwar ebenso störend sein, aber sie werden nicht wie ein Bilderbuch benutzt, das man aufschlägt, wenn einen die Langweile überkommt. Dem Gegenüber signalisiert das Tippen auf das Instagram-Icon nämlich genau das: mir ist langweilig. Man muss echt kein Achtsamkeitsfreak oder ein grantiger 87-Jähriger sein, um das bescheuert zu finden. Daran musste ich etwas ändern. Deswegen habe im Januar – ganz unter dem Motto „New year – new me“ –  mein Profil deaktiviert. Selbstverständlich konnte ich es nicht löschen, zu groß war die Angst, nach ein paar Wochen zurückkehren zu wollen. Zu 53 Followern und 16 Bildern in meinem Feed.

Tja, theoretisch hätte ich in den 45 Minuten, die ich früher täglich auf Instagram verbracht habe, eine Fremdsprache oder ein Instrument lernen können. Natürlich ist das nicht passiert. Wahrscheinlich habe ich einfach länger Netflix geschaut und mir ist der Verzicht gar nicht so sehr aufgefallen. Zeit zu verplempern gelingt auch so ganz gut. Was aber wirklich schön ist: kein Mensch hat Bock, mit mir über Instagram zu reden. Darauf angesprochen, zucke ich mit den Schultern und sage: „Habe ich nicht gesehen“. Danke, Thema vorbei.

Ich versäume Kardashian-Content, lustige Stories von Bekannten, mit denen ich keinen engen Kontakt habe und kluge Frauen, die sich für den Boykott von True Fruits einsetzen.

Ich frage mich bei Fotos nicht mehr, ob sie schön genug zum Posten sind. Ich schaue mich nicht um und denke: "oh man, davon müsste ich eigentlich eine Story machen". Das ist erleichternd. Und trotzdem: Ich vermisse es auch. Manchmal bekomme ich eine Extrawurst und Leute schicken mir ihre Urlaubsfotos einfach so zu, weil sie wissen, dass ich sie sonst nicht sehe.

Denn ich verpasse ganz schön viel. Ich versäume Kardashian-Content, lustige Stories von Bekannten, mit denen ich keinen engen Kontakt habe, Outfitinspirationen, Wochenendtipps und kluge Frauen, die sich für den Boykott von True Fruits einsetzen. Es gibt so viele nützliche, witzige und wichtige Posts, die ich nicht sehe. Das ist schade, denn dieses Dilemma bekomme ich nicht gelöst. Vielleicht aktiviere ich meinen Account wieder und schaue, was all die tollen Leute so machen. Vielleicht lösche ich ihn dann endgültig. Eins steht jedoch fest: Instagram ist weniger präsent – und das fühlt sich gut an.

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