Endlich wieder Schildergasse: von der Kölschen Frohnatur und den wichtigen Dingen im Leben

© Christin Otto

Juhuu, endlich ist alles wieder normal! Wir können rausgehen, shoppen, unsere Freunde treffen, am Wochenende in Massen über die Schildergasse spazieren, IKEA stürmen als gäbe es kein Morgen mehr und endlich die letzten Wochen hinter uns lassen. War da was? Globale Pandemie? Nää, dat is doch Schnee von gestern! Jetzt werden wieder die Läden leer gekauft, whoop whoop!

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So ungefähr stelle ich mir die Jubelschreie in den Köpfen vieler Kölner am letzten Wochenende vor. Los, klopft den Staub von euren Geldbeuteln, es geht wieder los. Was haben wir in den letzten Wochen nicht mehr vermisst als eine schön stressige Shoppingtour am Wochenende? Und mein Kopf nur so: For real? Die Bilder von langen Schlagen und vollen Straßen zu sehen, die Anfang der Woche die Runde machten, war nach Wochen des Homeoffice und Freunden-aus-der-Ferne-Zuwinkens wirklich mehr als merkwürdig.

Das könnte neben meinen aktuellen Starthemmungen aber auch daran liegen, dass die Schildergasse plus Samstagnachmittag auch zu Nicht-Corona-Zeiten eine Kombination wäre, die mich schnellstens in die Flucht schlägt. Wenn ich einen Kölner Ort nennen sollte, den ich zu Isolationszeiten mehr vermisse als die Schildergasse – naja, ich glaube jeder Ort würde so ziemlich als Alternative taugen. Vielleicht sollte man es dann eher als Form von Beständigkeit werten: Ja, auch "nach" Corona rennen die Menschen noch gerne mit vollen Einkaufstüte durch ihr Wochenende.

Wir Kölner? Pah! Da fühlt sich das Leben doch dauerhaft wie Schockstarre an, wenn man nicht mit mindestens zehn Leuten gleichzeitig schunkeln kann. 

Derweil in Italien: Dort dürfen die Leute diese Woche zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder vor die Tür, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben. Also zum Beispiel zum Spazierengehen. Zu bestimmten Uhrzeiten, versteht sich. Natürlich nur mit einer Person aus dem eigenen Haushalt, klar. Nicht weiter als einen Kilometer von der eigenen Haustür entfernt, versteht sich auch.

Ja, diese Maßnahmen sind ziemlich unangenehm und zum Glück befinden wir uns in einer weniger dramatischen Lage. Und nein, ich wünschte nicht, bei uns gäbe es genauso strenge Regeln. Mit Blick auf Italien frage ich mich aber, ob es wirklich schon an der Zeit ist, die Einkaufsstraßen so zu füllen, dass genügend Abstandhalten unmöglich wird. Liegt es womöglich an der Kölschen Frohnatur, die sich nicht länger einsperren lassen kann? Vielleicht liegt der Vorteil gerade bei den Nordlichtern, die mürrisch in den Regen blicken und sich freuen, wenn sie noch ein paar Tage keiner Menschenseele begegnen müssen. Wir Kölner? Pah! Da fühlt sich das Leben doch dauerhaft wie Schockstarre an, wenn man nicht mit mindestens zehn Leuten gleichzeitig schunkeln kann.

Alles, was ich mir wünsche, ist keine Schildergasse und keine IKEA-Schlange, sondern meinen heißgeliebten Kölner Sommer noch zu bekommen.

Nichts gegen die Frohnatur – eigentlich bin ich ganz genauso. Deshalb wundert es mich auch, dass ich ehrlich gesagt große Hemmungen hätte, einfach wieder normal mit dem Leben weiterzumachen – selbst wenn es denn erlaubt wäre. Es würde sich falsch anfühlen, am Tag plötzlich wieder 300 statt drei Menschen zu begegnen, einfach wieder zu vergessen, in welcher Lage wir uns befinden. Denn wenn man genau hinsieht, können wir genauso schnell wieder in die Schließungen und Kontaktsperren reinrutschen, wie wir gerade aus ihnen rauskommen. Also lasst es uns langsam tun, mit Verstand.

Meine Sorge und der Wunsch, nicht zu schnell in Phase Zwei dieser Katastrophe zu schlittern, entspringt übrigens nicht nur bloßer Vernunft, sondern meiner ganz eigenen Version der Schildergassen-Sehnsucht.  Denn alles, was ich mir wünsche, ist kein stressiger Shoppingtag und keine kilometerlange IKEA-Schlange, sondern meinen heißgeliebten Kölner Sommer noch zu bekommen, bei dem ich mit mehr als einer Kontaktperson und meinetwegen auch mit Abstand auf den Wiesen der Stadt liege, auf dem Mäuerchen das dritte Kölsch öffne, von Büdchen zu Büdchen ziehe und dabei jede Menge bekannte Gesichter treffe. Denn das ist das Kölsche Jeföhl, das mir wirklich fehlt.

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