Wenn die Psyche krank macht – mein Weg in die Hölle und zurück
Was, wenn alles nur eine Reise war? Dieser Gedanke kam mir, als ich gerade auf dem Weg zum Büdchen war, Zigaretten holen. Ich rauche gerade viel zu viel, klammere mich an alles, was mir hilft, ein bisschen abgelenkt zu sein: Zigaretten, Essen, Sex, Drogen, Trash TV, Dating-Apps. Alles, um meine psychische Krankheit hinter mir zu lassen. Und dann war er da plötzlich, dieser Gedanke – einer von denen, die ich so dringend brauche, um nach vorne zu schauen.
Ich war auf einer Reise. Weg. Abgetaucht. Komplett woanders. In meinem persönlichen Psychothriller. Der Höhepunkt meiner Erkrankung: drei Monate geschlossene Psychiatrie. Zu meinem eigenen Schutz. Wenn ich meine Medikamente nicht hätte, würde ich vielleicht nicht mehr leben.
Ich habe meine gesamte Familie über mehrere Monate hinweg in Angst und Schrecken versetzt.
Jetzt geht es mir gut. Und ich schäme mich, so krank geworden zu sein. Ich habe meine gesamte Familie über mehrere Monate hinweg in Angst und Schrecken versetzt. Bin zwei Mal aus der offenen Station der Klapse abgehauen und stand im sechsten Stock an einem offenen Fenster. Wurde schon zuhause mit dem Krankenwagen und der Polizei abgeholt. Habe Geld abgehoben, um am Neumarkt genug für einen goldenen Schuss zu kaufen. Habe mir im Baumarkt einen Strick besorgt und war zu blöd, den Knoten zu machen.
Zwei Tage habe ich es versucht. Nachts bin ich mit Vollgas in DriveNow-Karren durch das leere Köln geheizt, habe überlegt, wogegen ich brettern könnte. So krank war ich. Und jetzt bin ich wieder gesund. Ich, die am allerwenigsten damit gerechnet hätte.
Wenn ich gefragt werde, was mir geholfen hat, sage ich immer: die Tabletten. Aber meine Freundin Theresa, eine tolle Frau und Psychiaterin, hat im Herbst zu mir gesagt: „Die Medikamente helfen dir, aber du darfst deine Selbstwirksamkeit nicht unterschätzen. Ohne die würden wir jetzt nicht so hier sitzen.“ Selbstwirksamkeit gefiel mir gut, außerordentlich gut.
Mein bester Freund hat mich vom Krankenwagen abholen und in die Psychiatrie fahren lassen.
Jetzt ist Februar. Bald ist Karneval. Letztes Jahr an Karneval habe ich allen besorgten Freunden etwas anderes erzählt, wo ich gerade angeblich bin. In Wirklichkeit habe ich mich vier Tage in meiner Wohnung versteckt, weil ich dachte, ich bringe mich jetzt um. Ich wollte nicht mehr und hatte längst sämtliche Grenzen überschritten: Mit dem Gedanken „Ich willl morgen nicht mehr aufwachen“ war ich zu meinen Großeltern gefahren und hatte dort unentwegt Selbstmordfantasien gesponnen. Und das ist nur eine der vielen Grenzen, die ich überschritten habe.
Danach war der Ofen aus. Oder auch: ich richtig on fire. Rien ne vas plus, nichts ging mehr. Mein bester Freund hat mich vom Krankenwagen abholen und in die Psychiatrie fahren lassen. Ich war sicher, da nicht lebend rauszukommen. Wie auf einem Trip. Einem ganz, ganz bösen.
Diese kleinen Lichtblicke zeigen mir: Aha, eigentlich will und wollte ich immer leben.
Nun, da bald wieder Karneval ist, jährt sich der Tag meiner Einweisung. Heute, wo es mir gut geht, wo ich nicht mehr denke: „Mein letzter Blumenstrauß“, „das letzte Mal, dass ich XY sehe“, „der letzte Arbeitstag“. Keine Bilder mehr von meiner Beerdigung. Ich wusste schon, welche Lieder ich hören wollte. Ich hören wollte? Welche Lieder gesungen werden sollten, muss es eigentlich heißen. Ich wäre ja tot. Und genau das sind sie, diese kleinen Lichtblicke, manchmal in Form von Freud'schen Verschreibern, die mir zeigen: Aha, eigentlich will und wollte ich immer leben.
Das hat sich aber nicht immer so angefühlt. Der Teil, der nicht mehr leben wollte, war irgendwann übergroß geworden. Heute, wo es mir gut geht, denke ich viel darüber nach, ob ich ohne meine Tabletten vielleicht gar nicht mehr da wäre. Dieser Gedanke, diese vermeintliche Gewissheit, schwingt immer mit. Fast immer. Deshalb muss ich mich auch so viel ablenken.
Heute, wo es mir gut geht, habe ich in Gedanken immer zwei Schutzengel bei mir. Thaddäus und Tilda habe ich sie getauft. Sie passen auf mich auf, fahren auf meinem Gepäckträger „yippie“ schreiend mit mir durch Köln. Sie schubsen mich an, wenn ich mich ausgebremst fühle. Sie klopfen mir lobend auf die Schulter, wenn ich das letzte halbe Jahr Revue passieren lasse und mich an viele schöne Momente und Begegnungen erinnere. Solche Gedanken helfen mir.
Die Erinnerung an die Vergangenheit ist immer da, bleischwer versucht sie mich in den Abgrund zu ziehen.
Gedanken daran, wie krank ich geworden bin, helfen mir nicht. Und trotzdem ist die Erinnerung an die Vergangenheit immer da, bleischwer versucht sie mich in den Abgrund zu ziehen. Ich war als Geisterfahrerin in einer Einbahnstraße unterwegs. Mit Vollgas. Doch heute, wo es mir eigentlich gut geht, will ich nicht mehr in der schlimmen Vergangenheit verharren, sondern muss lernen, im Hier und Jetzt zu leben. Denn heute, wo es mir gut geht, weiß ich, dass man sich niemals das Leben nehmen darf, egal wie düster es aussieht.
Solltest du selber in einer Krise sein und Selbstmordgedanken haben, dann legen wir dir die Nummer der Telefonseelsorge 0800 111 0 111 ans Herz – sie ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar.