"Woher kommst du eigentlich?“ – warum ich diese Frage nicht mehr hören kann
"Woher kommst du eigentlich?" Das ist wohl eine der häufigsten Fragen, die ich gestellt bekomme, wenn ich fremden Menschen das erste Mal begegne. Sei es im Vorstellungsgespräch oder auf einer Geburtstagsfeier. Schon als Kind verwirrte mich diese eine Frage, woher ich denn komme. Das erste Mal bekam ich sie zu hören, als ich eingeschult wurde. Die Kinder fragten mich: „Woher kommst du“ und ich antwortete daraufhin „Aus Bonn“, ich bin schließlich da geboren.
Aber die Neugierde der Kinder war damit nicht gestillt, sodass sie mich weiter löcherten: „Ich meine, woher kommst du wirklich?“ Ich war irritiert und verunsichert zugleich, weil ich ihre Frage nicht verstand. Also nannte ich meine Adresse. Grausam, wie Kinder nun mal sein können, lachten sie mich aus und fragten, warum ich denn so anders aussehen würde. Ich zuckte mit den Schultern und beließ es dabei.
Du Japanopfer!
In der weiterführenden Schule wurden die Anmerkungen unter den pubertierenden Jungs immer dämlicher. Viele aus Ostasien wurden bestimmt schon als „Schlitzauge“, „Bratpfannengesicht“ oder „Reistonne“ bezeichnet – nichts Neues für uns, auch nicht, wenn eine Reihe von Kindern im vorbeifahrenden Bus die Augen auseinanderzieht oder einem „Ching Chang Chong“ zurufen. Was soll das überhaupt bedeuten?
Aber die Krönung war 2011, als die Nuklearkatastrophe in Fukushima durch alle Medien ging. Nichtsahnend lief ich mit meinen Kopfhörern die Straße entlang, als mir eine Gruppe Jungs entgegenkam und mir „Du Japanopfer“ zurief und sich kaputtlachte.
An manchen Tagen fällt es mir echt schwer, die Augen nicht zu verdrehen. Ich wohnte für einige Jahre in einem östlichen Stadtteil Kölns, wo alles noch etwas dörflicher ist. Auf dem Weg zur Bahn begegnete ich einer Frau, die von Weitem schon stehen blieb und mich musterte, als ich auf Augenhöhe war, sprach sie mich an: „Hello, can I help you?“ – „Ähmm, nee Danke“.
Ich spreche weder Japanisch noch Mandarin, sondern Kantonesisch.
Ein anderes Mal fragte mich die Tutorin, die uns in der Einführungswoche durch die Hochschule führte, vor versammelter Mannschaft, ob ich denn Deutsch verstehen würde oder ob sie auf Englisch fortfahren solle. Sie kam selber aus der Ukraine und sprach Deutsch mit Akzent. Das war zwar nett gemeint, aber es waren auch russische und türkische Kommiliton*innen anwesend, die nicht explizit angesprochen wurden.
Was ich auch seltsam finde, ist, wenn Fremde auf mich zukommen und stolz ein „konichiwa“ oder „nǐhǎo“ von sich geben, um mich zu begrüßen. Was soll der Scheiß? Ich sag doch auch nicht zu einem Spanier „zdravo“. Ich spreche weder Japanisch noch Mandarin, sondern Kantonesisch. Abgesehen davon, dass sich Mandarin in meinen Ohren genauso anhört, wie für alle anderen, die der Sprache nicht mächtig sind, ist es nervig, als China-Chinesin oder etwas anderes abgestempelt zu werden.
Sie starren so, als ob wir jeden Moment unsere Stäbchen auspacken und genüsslich einen Hund verschlingen würden.
Wenn ich mit meiner Familie in ein Restaurant gehe, werden wir direkt als Tourigruppe abgestempelt, vor allem, wenn es sich um ein Brauhaus handelt. Gefühlt sind alle Augenpaare auf uns gerichtet und die Tischnachbar*innen können nicht aufhören zu starren. Sie starren so, als ob wir jeden Moment unsere Stäbchen auspacken und genüsslich einen Hund verschlingen würden.
Zum Glück ist die Vielfalt an asiatischen Restaurants in Köln in den letzten Jahren gestiegen, sodass die Leute jetzt mehr als nur Sushi und Ente süß-sauer kennen. Wenn mich jemand fragt, was ich zu Hause esse, erkläre ich ihnen als Allererstes, dass ich nicht das Zeug aus den Chinarestaurants esse, sondern dass TK-Pizza, Kartoffeln, Aufläufe, Salate und Spaghetti genauso auf dem Tisch landen. Aber natürlich gibt es auch anderes geiles Zeug, was mein Papa kocht, wie zum Beispiel Reis aus dem Tontopf, Fischbauch mit Dōnggū-Pilz, Garnelen mit Chili, Zwiebeln und Lauch, knusprige Ente oder gedämpfter Seeteufel mit Ingwer.
Heute kommt es wesentlich seltener vor, dass ich mir dumme Kommentare anhören muss. Aus dem Umfeld bin ich glücklicherweise rausgewachsen. Aber die Frage, woher ich komme, bleibt. Mit den Jahren bin ich im Rede-und-Antwort-stehen immer besser geworden. Bemerkungen wie „Sie sprechen aber gut Deutsch“ nehme ich dankend entgegen.
Hier habe ich alles, was ich brauche und trotzdem verraten mir die Blicke auf der Straße, dass ich anders bin.
Laut Pass bin ich aus dem Land des Käses und der Tulpen, jedoch spreche ich weder Niederländisch noch fließt europäisches Blut in mir. Wenn ich in Hongkong zu Besuch bin, bin ich Analphabetin und werde direkt als Ausländerin entlarvt, wenn ich mit deutschem Akzent mein Essen bestelle. Auch in der Bahn werde ich dort gemustert, weil ich westlich gekleidet bin. Und wer mich kennt, weiß, dass ich mich ganz „normal“ kleide, ohne groß aufzufallen.
Hier in Deutschland, wo ich als „Banane“ gelte, bin ich nun mal zu Hause, hier bin ich aufgewachsen, hier ist meine Familie, hier sind meine Freund*innen, hier habe ich alles, was ich brauche und trotzdem verraten mir die Blicke auf der Straße, dass ich anders bin. Am Aussehen lässt sich nun mal nichts ändern, es sei denn, ich leg mich unters Messer – aber das wird in diesem Leben nicht mehr passieren.