Die Zülpicher Straße ist eine Schande für den Kölner Karneval

© Wolfgang Schiffbauer

Fragt man in Frankreich nach Paris, so bekommt man oft nur eine kurze Antwort: "Paris ist nicht Frankreich!" Genauso geht es mir, wenn ich – als gebürtiger Kölner, der in der Gastronomie aufgewachsen ist und über zehn Jahre an Karneval hinter der Theke gestanden hat – dieser Tage nach den Exzessen des 11.11. auf der Zülpicher Straße gefragt werde. Dann sage ich auch: "Die Zülpicher ist nicht Karneval!" Für mich ist klar: Das Saufgelage im Kwartier Latäng hat mit dem echten Karneval nichts mehr zu tun – und deshalb muss sich dringend etwas ändern, denn die "Party" in der Innenstadt wirft ein immer schlechteres Licht auf den Karneval und somit auch auf "unser" Köln.

Machen wir uns nichts vor: Die Zeiten ändern sich. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben. Eine "Früher war alles besser"-Mentalität sorgt nur für Frustration, nicht aber für die Lösung des Problems. Die Menschen haben immer schon gerne Partys gefeiert, beim Straßenkarneval wurde immer schon (zu) viel Alkohol getrunken und den tapferen Held*innen der Kölner Müllabfuhr wurde immer schon eine ganze Menge zugemutet. Und für die echten Kölner*innen ist Karneval auf der "Zülpi" sowieso schon lange keine Option mehr.

Die Zülpicher Straße ist nicht Karneval!

Trotzdem kann ich aus eigener Erfahrung und aus zahlreichen Gesprächen mit befreundeten Gastronom*innen behaupten, dass sich die Feiermentalität im letzten Jahrzehnt in die völlig falsche Richtung entwickelt hat. Hierfür steht der Elfte im Elften sinnbildlich: Noch vor wenigen Jahren wurde der Sessionsauftakt in einem kleineren Rahmen gefeiert, eher vergleichbar mit einem klassischen Karnevalsfreitag als mit Weiberfastnacht oder Rosenmontag. Heute hingegen fühlt sich der 11.11. wie Weiberfastnacht auf Speed an. Ein befreundeter Gastronom (und Karnevalsjeck) sagte mir noch am Donnerstag, dem Tag vor dem 11.11.: "Das einzig Schöne am 11.11. ist, dass er, im Gegensatz zum normalen Karneval, nach einem Tag wieder vorbei ist."

Folgendes muss natürlich auch gesagt werden: Auch am letzten Freitag gab es in den Kölner Veedeln wunderbare Karnevalsfeiern mit fröhlichen Jecken, die friedlich zu Kölsch und kölschen Tön geschunkelt haben. Es gab Kneipen, die den Einlass begrenzt und Umsatzeinbußen hingenommen haben, damit ihre Gäste eine tolle Zeit haben können. Auf den Straßen ging bei Traumwetter und Sonnenschein das Trömmelche und viele Karnevalist*innen präsentierten ihre kreativen Kostüme. Ich selbst sage zu einer guten Party auch nicht nein. Und in der aktuellen Weltlage – mit Corona, Krieg und unaufhörlicher Inflation – ist es wichtig, sich auch mal abzulenken und das Leben zu genießen.

Das einzig Schöne am 11.11. ist, dass er, im Gegensatz zum normalen Karneval, nach einem Tag wieder vorbei ist.

Aber muss das in Schnapsleichen morgens um 10 Uhr enden? In vollgekotzten Hauseingängen? Muss es Schlägereien geben? Oder sogar sexuelle Belästigung? Nein, das sollte es nicht – das darf es nicht. Doch die Schuld an den katastrophalen Auswüchsen in und um die Zülpicher Straße kann man nicht nur bei den Feierwütigen suchen, sondern auch bei der Stadt Köln und dem Ordnungsamt – und nicht zuletzt haben auch die Gastronom*innen Raum für konzeptuelle Verbesserungen.

Das Versagen von Stadt, Ordnungsamt & Co

Ich komme beispielsweise aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, wenn ein Kölner Politiker von einer "völlig neuen Dimension" spricht. Die Gastronom*innen – auf die bei der Stadt niemand besonders gerne hört – haben seit Wochen vor dem drohenden Ausmaß des 11.11. gewarnt. Sie haben das Sicherheitskonzept kritisiert und auf die Risiken hingewiesen. Komischerweise hat die Eskalation auf der Zülpicher Straße niemanden – wirklich niemanden! –, mit dem ich gesprochen habe, in irgendeiner Form überrascht. Wie weltfremd müssen unsere Politiker*innen also sein, wenn sie die drohenden Probleme nicht auf dem Schirm hatten?

Das bringt mich zum nächsten Punkt: das Ordnungsamt. Wenn es darum geht, Gastronom*innen wegen zu großer Regenschirme oder Terrassen zu schikanieren, dann ist das Ordnungsamt an vorderster Front dabei. Aber wenn es dann wirklich wichtig wird, dann sind die Beamt*innen in aller Regelmäßigkeit heillos überfordert.

Wie weltfremd müssen unsere Politiker*innen also sein, wenn sie die drohenden Probleme nicht auf dem Schirm hatten?

Natürlich ist auch in der Gastronomie nicht alles Gold, was glänzt. Die Gastronom*innen könnten noch mehr an einem Strang ziehen und sich beispielsweise einheitlich auf Einlassbeschränkungen und Schnaps-Verbote einigen. Ich bin mir völlig darüber bewusst, dass viele Kneipen den Karneval zum Überleben brauchen – aber wenn alle Hand in Hand arbeiten, dann sollte genug für jede*n übrigbleiben. Doch insgesamt trifft die Gastronomie an den Karnevalsexzessen die kleinste Schuld, nahezu alle mahnenden Stimmen kamen in den letzten Monaten aus Gastrokreisen.

Zu guter Letzt ein Wort zu den Partytouristen und der feierwütigen Jugend: Leute, ihr übertreibt! Gesoffen habe ich in meinem Leben auch genug, aber das nimmt inzwischen komplett andere Dimensionen an. Ihr tut euch alle keinen Gefallen damit, wenn ihr schon zur Mittagszeit über die Straßen wankt – vielmehr bringt ihr euch damit sogar in eine potentiell bedrohliche Lage. Niemand will euch das Feiern verbieten, doch mit ein wenig mehr Anstand, ein wenig mehr Respekt und etwas mehr Hemmungen würden wir alle – zusammen – einen schöneren Karneval haben. Nicht nur wir alten Motzkis, sondern auch ihr. Gemeinsam schunkeln macht nämlich viel mehr Spaß, als kotzend im besagten Hauseingang auf der Zülpicher Straße zu hängen.

In diesem Sinne: Kölle alaaf!

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