Diskussionen über das Gendern in 2023: Echt jetzt, Leute?

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Leev Lück, mer müsse ens schwade! Schwade darüber, dass wir 2023 noch immer über das Gendern diskutieren. Schwade darüber, dass viele Menschen – leider sind es, und das sage ich als Kerl, am häufigsten die Männer – für das Gendern nur Begriffe wie "Brechreiz", "Übelkeit" oder "Schwachsinn" übrig haben. Schwade darüber, dass jene Leute nicht verstehen (wollen), dass man mit kleinem Aufwand einen großen Schritt in Richtung eines gleichberechtigten Zusammenseins gehen kann. In letzter Zeit werde ich häufiger mit drei "Argumenten" konfrontiert, die gegen das Gendern sprechen (sollen). Diskussion zwecklos. Oder?

Argument 1: Es gibt größere Probleme auf der Welt!

In Zeiten von Krieg, Pandemie und Inflation gibt es mit Sicherheit größere Probleme auf der Welt als die Evolution unserer schönen Sprache. Nur ist das als Argument gegen geschlechtergerechte Sprache klassischer Whataboutism. Das Corona-Virus ist schließlich nicht durch Gendersternchen entstanden.

Der Effekt, den Sprache auf die Gesellschaft und die Menschen hat, ist in der Forschung unstrittig. Die Sozialpsychologin Sabine Sczesny, Professorin an der Universität Bern, hat dazu in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau ein kurzes Beispiel gegeben: "In einer Studie wurden deutschen und belgischen Kindern im Alter von acht und neun Jahren verschiedene Listen mit Berufen vorgelegt. Wenn die Bezeichnungen sowohl männlich als auch weiblich waren, interessierten sich mehr Mädchen für männlich typisierte Berufe wie bei der Polizei und trauten Frauen in diesen Berufen mehr Erfolg zu."

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Wenig Aufwand führt also zu einer faireren Gesellschaft – für Frauen, für Männer, für alle. Das hat eine schwedische Studie im Jahr 2019 übrigens auch herausgefunden. Und die Zeit hat schon 2012 geschrieben, dass Forscher*innen und Psycholog*innen "immer mehr Hinweise darauf" finden, "dass Worte unser Denken und Handeln prägen, und dass wir uns tatsächlich schon mit unserer Muttersprache bestimmte Denkmuster aneignen, die unser Leben auf überraschende Weise beeinflussen."

Argument 2: Gendern ruiniert die deutsche Sprache und zerstört den Lesefluss!

Ich kann einen kurzen Zeitungsartikel oder auch einen ellenlangen wissenschaftlichen Text lesen, in dem Zeile für Zeile gegendert wird und habe dabei keinerlei Verständnisprobleme. Und ich bin definitiv nicht die Reinkarnation von Albert Einstein. Es ist eine Frage des Willens und der Gewohnheit, wie schwer eine*m das Schreiben und Lesen von Texten mit geschlechtergerechter Sprache fällt. Hat man sich einmal daran gewöhnt, dann wird Gendern auch ganz schnell zum Automatismus.

Im Durchschnitt verdienen Frauen 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer.

Woran liegt’s also wirklich? Einfach an Sturheit? Gar an fehlender Intelligenz? Oder liegt der Ablehnung doch die Angst zugrunde, dass gleichberechtigte und starke Frauen die männliche Vormachtstellung in Beruf und Gesellschaft ins Wanken bringen könnten? Und ja, auch heute sind Frauen noch schlechter bezahlt als Männer – das zeigen Berechnungen des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2022 deutlich: Im Durchschnitt verdienen Frauen nämlich 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer.

Argument 3: Das haben wir in den letzten so und so viel Jahren auch nicht gebraucht!

Ich mache es an dieser Stelle kurz: Ihr wollt ein Totschlagargument? Dann bekommt ihr von mir ein Totschlagargument! Wenn wir immer nach diesem Grundsatz gelebt hätten, dann würdet ihr euch heute nicht im Internet auf einer Webseite einen Artikel durchlesen und darüber fürchterlich aufregen, sondern weiterhin auf Steintafeln Bildchen einritzen und euch mit der Keule op d’r Kopp hauen.

Dann doch lieber Gendern, oder?

Klare Meinungen aus unserer Redaktion

Hört auf, jeden neuen Laden als Hipster-Kram zu bashen!
Leute, jetzt muss ich tatsächlich die Hipster in Schutz nehmen. Das werden mir meine Freund*innen monatelang auf’s Brot schmieren.
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Liebes Ordnungsamt, was ist eigentlich dein Problem?
Liebes Ordnungsamt, wir müssen reden! Ich bin wütend. Auf dich. Klar, das hörst du heute nicht zum ersten Mal.
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