Warum ich vom Online-Dating die Schnauze voll habe

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Ehrlichkeit währt bekanntlich am längsten und deswegen will ich an dieser Stelle auch ehrlich sein: Dating – und vor allem die Online-Variante mit Apps wie Tinder, Bumble und Co. – war für mich vor nicht allzu langer Zeit noch unbekanntes Terrain. Ich war sehr lange in Beziehungen und hatte deswegen keine Berührungspunkte mit der Dating-Szene in einer Großstadt wie Köln. Das sollte sich aber an einem Dezemberabend vor zwei Jahren ändern, als ein guter Freund nach einigen Gläsern Rotwein der Meinung war: Der Jung hat lang genug an seiner Ex gehangen!

Swipen gegen den Liebeskummer

Seine Lösung, natürlich: Tinder! Unter dem Vorwand der Musikwahl hat er sich mein Handy geschnappt und mir die berühmteste aller Dating-Apps – Premium-Abo inklusive – installiert. Wenige Minuten später sollte ich dann auch schon die Bilder für mein Profil auswählen. Gesagt, getan. Bei einer weiteren Flasche Rotwein war ich bereits fleißig am "swipen".

Da erreichte mich eine Nachricht mit der Bitte um ein Foto. Nein, kein Dickpic – also bitte! Sie wollte ein Foto meiner Füße.

Auf das erste "Match" folgte das erste Date und auf das wiederum die Erkenntnis: Schön war’s, aber reicht dann auch. Und so ging meine Tinder-Reise weiter – bis zu einem Nachmittag im Januar. Da erreichte mich eine Nachricht mit der Bitte um ein Foto. Nein, kein Dickpic – also bitte! Sie wollte ein Foto meiner Füße. Meine Reaktion waren unsichere Lach-Smilies, doch sie meinte es todernst. Ich verneinte – und wurde prompt mit "Ghosting" bestraft. Für mich ein klares Zeichen, dass die Tinder-Welt nicht meine Welt ist.

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Mein Dating-App-Comeback hat aber trotzdem nicht lange auf sich warten lassen – nach dem Tinder-Schrecken habe ich mich für die Konkurrenz entschieden: Bumble und Hinge. Und obwohl ich über beide Apps tolle Menschen kennengelernt habe, hat sich schnell die Ernüchterung breitgemacht. Denn über dem Dating-Kosmos schwebt ein Damoklesschwert: Bindungsängste und die ewige Suche nach "etwas Besserem".

Ist es wirklich cool, dass Menschen so austauschbar geworden sind?

Zugegeben: Dating-Apps machen süchtig, "Matches" werden schnell zu Trophäen. Während die Menschen früher auf dem Klo Tetris auf dem Gameboy gespielt haben, "swipen" sie jetzt wie wild nach links und rechts. Ich war da keine Ausnahme. Doch irgendwann hat sich ein Gedanke bei mir breit gemacht – und ein flaues Gefühl im Magen: Ist es wirklich cool, dass Menschen so austauschbar geworden sind? Dass man jemanden in wenigen Sekunden mit einem "Swipe" ersetzen kann?

Denn so entsteht ein Anspruchsgedanke, dem kaum ein Mensch gerecht werden kann – getreu dem Motto "höher, schneller, weiter" suchen wir plötzlich nach dem*der perfekten Partner*in. Doch Perfektion ist meiner Meinung nach eine Illusion, das Streben danach zum Scheitern verurteilt. Immerhin sprechen wir hier von Menschen aus Fleisch und Blut – und jede*r einzelne von uns hat auch Fehler.

Warum wir alle auf Bruce Springsteen hören sollten

Dann wären da noch die vielzitierten Bindungsängste. Ich habe die ein oder andere Frau kennengelernt, mit der ich mich super verstanden habe – doch einer möglichen Beziehung eine faire Chance geben? Davor scheint die ganze Online-Dating-Welt regelrechte Panik zu haben. Selbst mit lauter Schmetterlingen im Bauch – oder gerade dann – heißt es regelmäßig: Bloß weg! Auch mich hat das Bindungsangst-Virus irgendwann erwischt. Das hat bei mir alle Alarmglocken schrillen lassen – und schließlich dazu geführt, dass ich meine Online-Dating-Karriere endgültig eingestampft habe.

Wie viel Angst kann ein Mensch eigentlich davor haben, jemanden kennenzulernen?

Im Großen und Ganzen bleibt von meinen Online-Dating-Erfahrungen vor allem ein prägender Gedanke: Was ist nur mit den Leuten los? Wie viel Angst kann ein Mensch eigentlich davor haben, jemanden kennenzulernen? Ist das nicht der Sinn einer Dating-App? Und warum hört eigentlich niemand auf den "Boss", Bruce Springsteen, der in "Dancing in the Dark" singt: "You can't start a fire, worryin’ about your little world fallin' apart"? Fragen über Fragen auf die ich bis jetzt keine sinnvolle Antwort gefunden habe.

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Online-Dating macht oft keinen Spaß – ich habe es mir auf jeden Fall entspannter vorgestellt. Mir sind die seltsamsten Menschen und lauter emotionale Wracks begegnet – das hat das Online-Dating natürlich nicht exklusiv, auch im echten Leben gibt es Begegnungen der "besonderen" Art. Doch beim Online-Dating scheint mir die Quote deutlich höher zu sein. Drastische Worte, ich weiß, doch leider meine Wahrheit. Und natürlich habe ich für Gefühls-Ballast vollstes Verständnis. Auch ich bin schließlich schon das ein oder andere Mal in Liebessachen auf die Nase gefallen. Emotionsscheiß halt.

Aber ist es wirklich die Lösung, keine Risiken mehr einzugehen und sich nicht mehr fallen zu lassen? Springsteen sagt klipp und klar: Nein. Und als alte Rock-Legende muss es der "Boss" eigentlich wissen. Finde ich zumindest. Deswegen habe ich für mich beschlossen: "Loss dich einfach falle". Und das ist diesmal nicht Springsteen, sondern Brings. Ab und an sind unsere kölschen Lebensweisheiten eben doch die besten.

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