Es weihnachtet sehr: Einmal Taschenkontrolle bitte!

© Wolfgang Schiffbauer

In einer Welt, die zunehmend von Vielfalt und kultureller Mischung geprägt ist, sollten Diskriminierung und Vorurteile längst der Vergangenheit angehören. Doch die Realität zeigt oft ein anderes Bild. Erdal schreibt in seiner Kolumne "Mein Senf" über Alltagsrassismus, Diskriminierungserfahrungen, Antirassismus und aktuelle Geschehnisse im Leben eines PoCs (Person of Color). In "Mein Senf" beleuchtet er die anhaltende Herausforderung des Alltagsrassismus und wie wir als Gesellschaft aktiv zu einer inklusiveren Zukunft beitragen können. Ihr wollt eure Erfahrungen mit Erdal teilen? Dann schreibt ihm einfach!

Ach, Weihnachten, diese besinnliche Zeit des Jahres, in der sich alle Menschen in Harmonie und Liebe vereinen, um den Konsumrausch zu zelebrieren. Die Lichter, die Kugeln, die vorweihnachtliche Hektik – ein wahrer Genuss für die Sinne. Und was gibt es Schöneres als die gemütlichen Weihnachtsmärkte, vor allem die in Köln? Ja, genau, nichts!

Meine Eltern haben sich einfach geweigert, unser Wohnzimmer in ein Winterwunderland zu verwandeln oder uns mit weihnachtlichen Traditionen zu beglücken – schließlich waren wir Muslime.

Aber Moment mal, bevor wir uns in diese festliche Atmosphäre stürzen, erzähle ich euch von meinem ganz persönlichen Weihnachtsmärkte-Trauma. Als gebürtiger Deutscher mit türkischen Wurzeln – ja, das ist natürlich eine wichtige Information für diese Geschichte – war Weihnachten bei mir zu Hause immer so, nun ja, unweihnachtlich. Meine Eltern haben sich einfach geweigert, unser Wohnzimmer in ein Winterwunderland zu verwandeln oder uns mit weihnachtlichen Traditionen zu beglücken – schließlich waren wir Muslime. Wie konnten sie nur!

Trotz dieser weihnachtlich-traurigen Kindheitserfahrungen war ich als kleiner Junge geradezu besessen von geschmückten Weihnachtsbäumen. Im Kindergarten, wo sie oft die Weihnachtsgeschichte erzählten, begann meine heimliche Liebe zu deutschen Traditionen. Später, als ich mit Freund*innen zum ersten Mal auf einen Weihnachtsmarkt ging, spürte ich diese Magie. Der Duft von gebrannten Mandeln, der Nebel des heißen Glühweins, die Wärme der Tasse in der eisigen Kälte – pures Glück, das sich nur in Deutschland finden lässt!

Wie konnte ich nur vergessen, dass Weihnachtsmärkte exklusive Veranstaltungen für "christliche Deutsche" sind?

Doch dann kam die Realität. Denn wie konnte ich nur vergessen, dass Weihnachtsmärkte exklusive Veranstaltungen für "christliche Deutsche" sind? Ja, diese vermeintlichen Hüter*innen der Weihnachtsmarkt-Tradition haben einen sechsten Sinn entwickelt, um "Fremde" wie mich zu entlarven. Ich spreche von diesen Blicken – oh, diese schmerzhaften Blicke, die in die Seele schneiden wie ein kalt gewordener Bratapfel.

Wie ihr vielleicht schon herausgefunden habt, bin ich ja ein friedlicher Mensch, aber dieses Gestarre, dieses abschätzige Gemurmel, es reicht, um selbst den friedlichsten Weihnachtsfrieden zu stören. Diejenigen, die glauben, Weihnachtsmärkte seien nur für auserwählte Christ*innen und "echte" Deutsche, werfen mir panische, fast schon traumatisierte Blicke zu. Ja, sie halten mich für eine Bedrohung. Mich, einen harmlosen Menschen mit Bart, der nicht "typisch deutsch" aussieht. Aber Moment mal, wie sieht eigentlich ein "typischer Deutscher" aus? Hat jemand eine Checkliste? Ich schweife ab.

Ab und zu höre ich sogar, wie sie über mich tuscheln, mit dem Finger auf mich zeigen.

Manche dieser Angsthasen überprüfen sogar ihre Taschen, als würden sie erwarten, dass ich mit einem kriminellen Trick ihre Brieftaschen verschwinden lasse. Als wäre ich der Bösewicht der Weihnachtsmärkte. Und ab und zu höre ich sogar, wie sie über mich tuscheln, mit dem Finger auf mich zeigen und wilde Verschwörungstheorien über meine nicht vorhandenen kriminellen Aktivitäten austauschen.

Nun, ich kann verstehen, dass manche Menschen das Bedürfnis haben, sich zu schützen. Schließlich weiß man ja nie, ob harmlose Besucher*innen plötzlich zur Taschendieb-Übermacht mutieren. Aber ihr könnt euch sicher sein, dass ich die kriminellen Kräfte der Taschendieberei nicht beherrsche.

Aber hey, wer bin ich, mich in die Tradition eines deutschen Weihnachtsmarktes einzumischen? Schließlich bin ich ja kein "echter" Deutscher.

Ich würde mich viel lieber einfach in die frohen Gesichter auf den Weihnachtsmärkten vertiefen, Glühwein genießen und die Vorfreude auf Weihnachten teilen. Aber hey, wer bin ich, mich in die Tradition eines deutschen Weihnachtsmarktes einzumischen? Schließlich bin ich ja kein "echter" Deutscher.

Ihr könnt mir trotzdem, ganz im Geiste von Weihnachten, ein Lächeln schenken. Denn in dieser festlichen Zeit geht es um Freundschaft, Liebe und den Wunsch, dass jede*r glücklich ist.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen eine wundervolle, besinnliche Weihnachtszeit voller Liebe und Freude. Und die Bockwurst am Weihnachtsmarktstand schmeckt mit Senf für gewöhnlich immer am besten.

Euer Erdal

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