Köln hakt nach: Ist Köln wirklich so tolerant?

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In Köln begegnen uns immer wieder kuriose Dinge, die uns staunend oder fragend zurücklassen. In unserer Serie "Köln hakt nach" gehen wir darum Fragen, Phänomenen und kuriosen Geschichten aus Köln auf den Grund. Auch ihr habt etwas entdeckt? Dann schickt uns eure Fragen!

Einer Studie des Lust-Magazins zufolge ist Köln die sexuell offenste Stadt der Welt – noch vor Berlin, West Hollywood oder Amsterdam. Ein Ergebnis ganz nach dem Geschmack einer Stadt, die sich Toleranz, Akzeptanz und Offenheit auf die Fahne schreibt und in der nach dem Grundsatz "Jede Jeck es anders" gelebt wird. Bereits seit 1979 findet in Köln zudem der Christopher Street Day statt, in diesem Jahr werden zur ColognePride mehr als eine Millionen Besucher*innen erwartet, die gemeinsam ein buntes Fest gegen Diskriminierung und Ausgrenzung feiern. Unser Köln – die Hochburg der Toleranz! Oder?

Leider leben wir nicht sicher, wenn wir uns als queere Personen in der Öffentlichkeit zeigen.
Tim Lahr

Tatsächlich bröckelt die Fassade des toleranten Kölns in den letzten Monaten. Die Hasskommentare auf den sozialen Medien nehmen zu, immer wieder erreichen uns Schlagzeilen über Gewalt gegenüber queeren Menschen. Kürzlich machten die Morddrohungen gegen den evangelischen Pfarrer Tim Lahr die Runde. Der 33-Jährige ist homosexuell und gibt queere Gottesdienste, um eine Brücke zwischen LSBTIQ*-Community und Kirche zu schlagen. Im Gespräch mit T-Online erzählt der Kölner von den Drohungen und Beleidigungen, die ihn regelmäßig erreichen und zieht eine traurige Bilanz: "Leider leben wir nicht sicher, wenn wir uns als queere Personen in der Öffentlichkeit zeigen."

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Jürgen Piger, der Geschäftsführer und pädagogische Leiter des Jugendzentrums anyway, hat in der jüngeren Vergangenheit ähnliche Erfahrungen machen müssen. "Tatsächlich gibt es auch in Köln wieder vermehrt Fälle von Queerfeindlichkeit", erzählt uns Piger und führt fort: "Immer häufiger berichten uns Jugendliche im Jugendzentrum anyway, dass sie sich in Köln nicht sicher genug fühlen, um ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offen zu leben."

Aus diesem Grund haben die Sozialarbeiter*innen des anyway auch eine Befragung unter LSBTIQ*-Jugendlichen in Köln durchgeführt – mit schockierendem Ergebnis: Fast ein Viertel der jungen Menschen (24 Prozent) wurden bereits Opfer von körperlicher Gewalt. Sogar mehr als die Hälfte der Jugendlichen (58 Prozent) müssen regelmäßig psychische oder verbale Gewalt über sich ergehen lassen, werden also beschimpft oder gemobbt.

Es ist entscheidend, dass wir uns bewusst machen, dass auch in vermeintlich toleranten Städten wie Köln noch viel Arbeit zu tun ist, um eine wirklich inklusive und akzeptierende Gesellschaft zu schaffen.
Jürgen Piger, anyway e.V.

Besonders im Internet und in "rechten und konservativen Diskursen", so Piger, nehme die Queerfeindlichkeit immer mehr zu: "Das gesellschaftliche Klima ist auch in Köln rauer geworden und wir merken eine Art von Rollback als Antwort auf die gesellschaftliche Liberalisierung." Diese Entwicklung ist nicht nur in Köln zu beobachten, vielmehr lässt sich in Metropolen auf der ganzen Welt mit der zunehmenden juristischen Anerkennung der queeren Community ein Rückschritt der gesellschaftlichen Akzeptanz feststellen.

Für Jürgen Piger ist es deswegen "entscheidend, dass wir uns bewusst machen, dass auch in vermeintlich toleranten Städten wie Köln noch viel Arbeit zu tun ist, um eine wirklich inklusive und akzeptierende Gesellschaft zu schaffen." Besonders der Faktor Schule und Bildung spielt hier eine entscheidende Rolle, um eine flächendeckende Sensibilisierung und Aufklärung zu schaffen. Und in Köln herrscht derzeit "mehr Bedarf als Angebot", erzählt der anyway-Geschäftsführer.

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Schulaufklärungsprojekte wie WiR* - Wissen ist Respekt oder Schlau Köln können nur einen "Teil der Anfragen von Schulen bedienen", sagt Piger und sieht vor allem Politik und Zivilgesellschaft in der Pflicht. Eine umfassende Aufklärungarbeit sei "nachhaltig und ein wichtiger Beitrag für kommende Generationen" und damit essentiell für den Kampf gegen Queerfeindlichkeit. Daher brauche es auch mehr Unterstützung und Ressourcen für Aufklärungsprojekte.

Trotz der zahlreichen und schwerwiegenden Probleme sieht Jürger Piger Köln aber grundsätzlich auf dem richtigen Weg: "Es ist ermutigend zu sehen, dass es in Köln zahlreiche Menschen und Organisationen gibt, die sich für die Rechte und das Wohlergehen von LSBTIQ*-Personen einsetzen. Diese Organisationen bieten Unterstützung, Aufklärung und Beratung an und tragen dazu bei, das Bewusstsein für die Herausforderungen zu schärfen, mit denen LSBTIQ*-Personen konfrontiert sind.“

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